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Rezension: “Unterleuten” von Juli Zeh

Unterleuten

Titel: Unterleuten
Autorin: Juli Zeh
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
erschienen am: 8. März 2016
Seiten: 656
ISBN: 978-3442715732
Preis (Taschenbuch): 12,00 € (eBook: 9,99€)

Rezensionsexemplar*

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Worum geht’s?

Es geht um Unterleuten, ein kleines scheinbar idyllisches Dorf irgendwo in Brandenburg und um dessen Bewohner. Da gibt es einige Alteingesessene und ein paar neu Zugezogene und natürlich gibt es alte nie gelöste Streitigkeiten und festgefahrene Strukturen. Da braucht es nur den geplanten Bau eines neuen Windparks auf Gemeindegebiet, um das, was jahrelang unterschwellig brodelte, wieder neu zu entfachen. Wenn dann noch ein paar Neue mitmischen, die glauben, die Spielregeln des Dorfes zu kennen, kann sich das zu einem echten Großfeuer entwickeln. Was nach außen hin so beschaulich wirkt, gleicht hinter verschlossenen Türen und hohen Gartenzäunen immer mehr einer Kriegszone.

“Unter Leuten, die daran gewöhnt waren, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, ging es eben manchmal etwas rau zu.” S. 152

Meine Meinung

Man nehme ein kleines Dorf in Ostdeutschland, ein paar alte Dorfbewohner, die jedes Klischee von Dorfbewohnern und ein paar zugezogene Städter, die jedes Klischee von Städtern, die auf der Suche nach Ruhe und Erfüllung aufs Land ziehen, erfüllen, einen typischen reichen Spekulanten, der riesige Landstücke kauft und einen neuen Windpark, der in diesem Dorf errichtet werden soll, und schon hat man genug Konfliktpotenzial um einen großartigen gesellschaftskritischen Roman zu erschaffen.
Es gibt kaum ein Klischee der deutschen Bevölkerung, mit dem die Autorin hier nicht spielt und dennoch muss man einfach so viel Wahrheit darin erkennen, dass ich immer wieder schmunzeln musste.
Um kurz ein paar Unterleutener vorzustellen: Es gibt den alten Kron, einen ehemaligen Brigadeführer der Unterleutener LPG “Gute Hoffnung” und seine Tochter Kathrin, die es für ihr Medizinstudium aus Unterleuten weg schaffte und doch wieder zurückkehrte, und dort nun wieder mit ihrer verzogenen kleine Tochter “Krönchen” und ihrem Ehemann Wolfi, der als Schriftsteller eher wenig erfolgreich ist, lebt. Dann ist da Bürgermeister Arne, der aus Gewohnheit und weil die Strukturen es so verlangen, immer wieder gewählt wird, der grobe Gombrowski, der früher Vorsitzender der LPG war und diese nach der Wende in die Ökologica GmbH umwandelte, durch die er ein beträchtliches Vermögen erwirtschaftete und seine stille Frau Elena sowie die Nachbarin Hilde Kessler, die eine besondere Beziehung zu Gombrowski hat und nach dem vermeintlichen Unfalltod ihres Mannes mit unzähligen Katzen zusammenlebt. Einige Vorkommnisse, über deren wahren Hergang sich nur spekulieren lässt, haben dazu geführt, dass zwischen Kron und Gombrowski seit Ewigkeiten ein mal mehr und mal weniger offener Konflikt herrscht, in dem fast das ganze Dorf irgendwie involviert ist.
Die Neuzugezogenen sind zum einen Gerhardard Fließ, seine Frau Jule Fließ-Weiland und ihr Säugling Sophie. Gerhard war Soziologie Professor in Berlin und Jule seine Studentin. Dem Stadtleben überdrüssig zogen sie in der Hoffnung auf Ruhe und Idylle nach Unterleuten, wo Gerhard nun beim Vogelschutzbund arbeitet vor allem dafür zuständig zu sein scheint, allen möglichen Bauvorhaben Steine in den Weg zu legen. Ganz neu in Unterleuten sind Linda Franzen und ihr Lebensgefährte Frederik Wachs. Während der zurückhaltende Frederik als Programmierer in der erfolgreichen Browserspiel-Firma seines Bruders arbeitet und von Unterleuten scheinbar am liebsten sein Arbeitszimmer sieht, werkelt die tatkräftige Linda unermüdlich an ihrem sanierungsbedürftigen neuen Heim, im Dorf als Villa Kunterbunt bezeichnet, herum und versucht alles in die Wege zuleiten, um ihr geliebtes Pferd Bergamotte für die Zucht nach Unterleuten holen zu können. Dafür braucht sie Wiesen, Ställe und Zäune, die natürlich alle erstmal genehmigt werden müssen. Zum Glück ist sie als Equidentrainerin so erfolgreich darin andere Wesen davon zu überzeugen, nach ihrem Willen zu tanzen, dass sie diese Fähigkeiten auch auf den Umgang mit Menschen überträgt.
Viele weitere Bewohner Unterleutens, die ebenfalls mehr oder weniger große Rollen spielen, wurden nun noch gar nicht erwähnt und doch wird schon deutlich, dass Juli Zeh mit den Charakteren in ihrem Roman viele Rollen einer typischen kleinen Dorfgemeinschaft abdeckt. Zudem sind diese Charaktere, wie bereits gesagt, wandelnde Klischees in ihren Rollen. Und gerade das macht diesen Roman für mich so besonders. Es sind keine tiefgründigen, authentischen oder gar facettenreiche Charaktere, obwohl sie durchaus alle besondere Geschichten haben, und dennoch schafft die Autorin es, dass man sich durchgehend vorstellen kann, dass so etwas genau so ablaufen wird. Weil sie damit einfach eine unterhaltsame und dennoch nachdenklich stimmende Karikatur der Wirklichkeit erschafft. Man kann irgendwie nicht verstehen, dass die Leute sich in einer solchen Situation tatsächlich so verhalten, möchte sich oft genug an den Kopf fassen und dennoch kann man es leider sehr wohl glauben.
Obwohl ich anfänglich etwas brauchte, um in die Geschichte hereinzukommen und sie tatsächlich erstmal etwas zäh fand, fand dich es spannend, die ganzen Charaktere, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, immer näher kennenzulernen. Schwierigkeiten sie auseinanderzuhalten, hatte ich nie, da sie alle ihre so klare Rolle darstellen. Die unterschiedlichen Perspektiven unterstreichen für mich neben den teilweise oft karikaturesken Charakteren besonders die Aussage des Buches. Jeder hat seine eigene Sicht der Dinge und kaum einer spricht darüber, was letztendlich das große Problem ausmacht und dem Leser das Gefühl gibt nie so richtig an den Kern der Wahrheit heranzukommen. Aber ist diese überhaupt wichtig? Will nicht jeder nur seine eigene Wahrheit glauben? Würde es etwas ändern, wenn darüber gesprochen würde und warum wird nicht darüber gesprochen? Alles Fragen die uns, wenn wir mal ehrlich sind, auch im wahren Leben immer wieder begegnen.
Spätestens ab der Hälfte des Buches, nehmen dann aber auch die Ereignisse an Fahrt auf und es wird immer spannender. Der schnörkellose, einfache aber oftmals sarkastische Schreibstil unterstreicht für mich noch den Karikaturcharakter dieser Geschichte und trägt zudem zu einem schnellen Lesefluss bei. Obwohl mir kaum ein Charakter richtig sympathisch war, fieberte ich einfach mit dem ganzen Dorf mit. Dabei ist schnell klar, dass das kein gutes Ende nehmen kann. Und am Ende ließ mich der Roman dann sogar erstmal etwas sprachlos zurück…

Fazit

Unterleuten ist für mich ein toller Roman über die Absurditäten des Spiels unseres alltäglichen Lebens und unserer Gesellschaft und die Gefahren die diese bergen können, obwohl jeder doch eigentlich nur das Beste will. Obwohl mir die Story manchmal etwas langatmig vorkam muss ich am Ende sagen, dass nichts zu viel war. Der Klappentext macht allerdings Hoffnung auf eine Spannung die für mich erst spät im Roman einsetzte. Da es sich meiner Meinung nach dennoch um eine sehr gelungene Gesellschaftskritik handelt, gebe ich eine klare Leseempfehlung!

Der erste Eindruck:  
Die Story:  
Die Charaktere: 
Die Erzähltechnik: 
Schreibstil: 
Aussage/Bedeutung:  
Titel/Cover dieser Ausgabe: 

Fazit:   4,1 Sterne!

*Diesen Roman habe ich freundlicherweise als Rezensionsexemplar über das Bloggerportal der Randomhouse Verlagsgruppe erhalten. Meine Meinung bleibt davon unberührt.

**Diese Verlinkung kennzeichne ich als Werbung

(c)Cover: Luchterhand Literaturverlag

 

 

 

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5 Kommentare

  • Claudia Junk

    Sehr treffende Rezension, mein Leseerlebnis war sehr ähnlich. Immer schwankend zwischen fasziniertem Kopfschütteln („nee, was für Klischees“ und „das gibt’s doch gar nicht“) und gleichzeitig schmunzelnd wissend, dass es doch genau so sein kann/ist („oh weh, ja, so sind sie, die Menschen“).
    Sehr empfehlenswert!!!

  • Jennifer

    Interessant, dass du Unterleuten so viel besser fandest als Leere Herzen. Ich hab gerade beide Rezensionen von dir gelesen, finde aber rein thematisch würde mich Leere Herzen jetzt stärker reizen. Wobei mich Unterleuten ein wenig an Ein plötzlichen Todesfall erinnert, hast du denn zufällig gelesen? Sind die irgendwie vergleichbar?
    VG Jennifer

    • ricysreadingcorner

      Hey :)
      “Ein plötzlicher Todesfall” habe ich noch nicht gelesen. Ob es da Ähnlichkeiten gibt, kann ich daher leider nicht sagen…
      Unterleuten wollte ich schon ewig lesen…als dann Leere Herzen erschien, ging es mir genau wie dir. Das Thema interessierte mich noch viel mehr. Das habe ich dann als Anlass genommen, Unterleuten endlich mal zu lesen, um dann im Anschluss das Neue zu lesen.
      Die Idee von Leere Herzen finde ich immer noch sehr gut bin nur von der Umsetzung enttäuscht. Bei Unterleuten war es eher anders herum..es geht um die Streitigkeiten in einem kleinen Dorf, wobei man sich denkt “nichts Besonderes …für viele alltägliche Realität”. Aber hier finde ich, dass ihr die Umsetzung viel besser gelungen ist. Sie macht aus alltäglichen Problemen eine tolle Gesellschaftskritik.
      Bei booknerds.de hab ich die Kritik gelesen, Leere Herzen habe so eine tolle Idee, die am Anfang steht, dass es auch schwer ist, dieser im restlichen Buch gerecht zu werden…das finde ich bringt es gut auf den Punkt.

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