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[Rezension] Dunkelgrün fast schwarz – Mareike Fallwickl

Wie soll ich ein Buch rezensieren, dass mich so mitgerissen, mit seiner Wirkung verschlungen, durchgekaut und wieder ausgespuckt hat, dass ich noch gar nicht genau weiß, wie ich es einordnen soll? Ich versuche es dennoch mal:

Worum es geht…

Moritz und Raffael gibt es nur im Doppelpack, seit sie sich damals zufällig auf dem Spielplatz getroffen haben, als Moritz’ Mutter gerade mit ihm und seiner kleinen Schwester hergezogen war in das kleine Nest, in dem sie sich noch so fremd vorkamen. Raffael beschließt, das Moritz von nun an sein Freund ist und Moritz, zwar etwas überrumpelt, aber von diesem Jungen beeindruckt, weicht von nun an nicht mehr von seiner Seite. Dabei könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Raffael ist selbstbewusst und berechnend, Moritz eher gutmütig, sehr sensibel und ziemlich unsicher. Als dann im letzten Schuljahr auch noch Johanna an die Schule kommt und sich in ihre Mitte drängt, passiert das, was passieren muss: aus der sowieso schon gefährlichen Beziehung von Raffael und Moritz wird ein zerstörerisches Beziehungsdreieck.
Nun, 16 Jahre später, steht Raffael plötzlich vor Moritz’ Tür und  alle drei müssen sich der Vergangenheit und dem, was diese aus ihnen gemacht hat, stellen.

“Das Grün ist dunkler geworden, viel dunkler, tief und massiv, fast schwarz. Es füllt den Raum, bis an die Decke strahlt es. Einst war Raffael knospengrün, raupengrün, wie Zuckererbsen in ihrer frisch geöffneten Schote, an manchen Tagen limonenhell. Schwarze Flecken hat das Grün bekommen, wie Schimmel. Moritz steht da und schaut und kann doch, was er sieht nicht verstehen. Es ist etwas passiert.” (S. 39)

Meine Meinung

Moritz und Raffael – schon die Art wie sie sich kennenlernen und Raffael kurzerhand beschließt, dass Moritz von nun an sein Freund ist, ist meiner Meinung nach prägend für die Beziehung die sich daraus ergibt. Raffael sagt etwas und Moritz macht mit, obwohl er so unsicher ist. Er weiß schnell, dass Raffael nicht gut für ihn ist und dennoch kann er sich nicht von ihm abwenden.  Stattdessen macht er immer mit, tut Dinge, die er nicht tun will oder die ihm Angst machen. Raffael zeigt ihm hingegen immer wieder seine Schwächen auf, macht sich über ihn lustig und trotzdem weiß Moritz, dass er nichts dagegen tun wird, immer an Raffaels Seite bleiben wird, solange der das zulässt – das ist einfach die Wirkung, die Raffael auf Menschen hat, nicht nur auf Moritz…

“Aber eins sag ich dir, Moritz: Irgendwann wirst du erkennen, dass manche Menschen nur leuchten, wenn sie andere ins Dunkle schubsen.” (S. 302)

Auch Moritz’ Mutter Marie merkt sehr schnell, dass mit Raffael irgendetwas nicht stimmt, sorgt sich um Moritz und macht dennoch nichts. Raffaels Mutter Isabell scheint einfach nur heillos überfordert zu sein und bekommt offenbar nichts mit von alledem. Die Väter sind sowieso fast nie da. Dann kommt auch noch ein Mädchen dazu, eins, in das sich Moritz Hals über Kopf verliebt. Doch auch sie ist nicht Immun gegen Raffaels Ausstrahlung. Jo ist nach außen hin vielleicht unnahbar, innerlich aber zerbrochen und das Beziehungsgeflecht in das sie sich begibt, macht das nicht besser.

“Ihr gelb ist zerschnitten, fast zwei Meter hinter ihr und schräg über ihr, schmutzige, löchrige Fransen, ausgewaschen und verkümmert, was einst golden war.” (S. 405)

Dunkelgrün fast schwarz ist eines dieser besonderen Bücher, in denen mir kein Charakter richtig sympathisch wurde, man aber so sehr von der Geschichte mitgerissen wird, weil sie doch so echt, so menschlich wirken. Sie haben einfach zu viele Facetten, zu viele Abgründe, in die man als Leser schaut, als dass ich sie einfach einordnen könnte, geschweige denn sie sympathisch finden könnte. Ich fand sie manchmal sogar nervig, teilweise habe ich sie sogar gehasst. Und dennoch kann man sich so gut in sie hineinversetzen, kann das was sie tun – und wirkt es auch noch so unverständlich oder falsch – doch irgendwie nachvollziehen, weil man so sehr eingenommen wird von ihren Ängsten, Sorgen und Hoffnungen. Eine Ausnahme bildet da zunächst Raffael, der einfach nur böse zu sein scheint, obwohl auch er seine Päckchen zu tragen hat. Er zeigt seine Schwäche dennoch nie, diese bricht höchstens mal durch ein fast ehrlich erscheinendes Lächeln oder einen anderen Klang seiner Stimme aus ihm hervor und wird dann schnell wieder versteckt.

“Heute frage ich mich, ob das vielleicht von Anfang an sein Charakter war. Ich habe ihm das nicht anerzogen! Ich meine, so ein kleines Kind – Marie, im Ernst, ist das normal?” (S. 384)

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Moritz, Johanna und von Moritz’ Mutter Marie erzählt. Zudem springt sie innerhalb dieser Erzählperspektiven immer zwischen Gegenwart und verschiedenen Zeiten in der Vergangenheit hin und her, wodurch besonders gut deutlich wird, wie prägend die Ereignisse in der Vergangenheit für die Charaktere, für ihr ganzes weiteres Leben waren. Zudem trägt dies sehr gut zum Spannungsaufbau bei. Ein Erzählstrang endet oftmals an einer besonders spannenden Stelle und dann springt die Erzählung wieder zu einer anderen Perspektive – in der Zeit etwas zurück – und läuft darin erneut auf diesen Punkt hin, sodass ich das Buch gerade ab der Mitte kaum noch aus der Hand legen konnte. Zu Beginn haben mich diese Wechsel noch manchmal ein bisschen gestört, da es das Erzähltempo erstmal etwas verlangsamte, doch das war wichtig, um die Charaktere und ihre Beweggründe richtig kennenzulernen.

“Wenn du siebzehn bist, hast du manchmal mehr Wissen als mit fünfzig, und du durchschaust ein Gefüge, du siehst, wohin die die Fäden führen, in denen andere sich verheddern, du springst hinein in eine Herausforderung, weil du so einen Hunger hast, so einen Hunger, etwas zu erleben.” (S. 184)

Der Schreibstil der Autorin ist so wunderbar spielerisch und bildhaft, was besonders durch Moritz’ Begabung ausgelöst wird: er nimmt menschliche Emotionen und Eigenschaften, sowie die Wirkung von Orten als Farben wahr. Veränderungen in der Stimmung der Menschen, zeigen sich ihm durch Veränderungen in deren Farbverläufen. Das führt dazu, dass er immer alles genau beobachtet und sehr sensibel für Emotionen, Stimmungen und Beziehungen ist – eine Sache die er Raffael voraus hat, die ihn aber gerade als Teenager eher wie eine Last vorkommt, etwas das ihn mit Emotionen und Eindrücken überschüttet und somit nachdenklich und, wie er denkt, schwach macht, da ihm diese vielfältigen Eindrücke natürlich nicht selten beängstigend sind. Er versucht diese Fähigkeit immer wieder zu unterdrücken, was sich durch Alkohol, wie er feststellt, gut bewerkstelligen lässt. Jemand wie Raffael würde diese Fähigkeit wahrscheinlich ausnutzen, um seine Fäden noch geschickter zu spannen. Aber auch von diesen Farben abgesehen, die sich wie ein Leitmotiv durch den ganzen Roman ziehen und auch vor dem Cover nicht Halt machen, ist dieses Buch meiner Meinung nach eine sprachliche Glanzleistung, ich wollte gar nicht mehr aufhören, mir Zitate zu notieren. Die Autorin jongliert auf beeindruckende Weise mit Bildern und Vergleichen, dennoch wird nichts beschönigend dargestellt, dieses Buch ist schön geschrieben und berührend, aber knallhart und ernst.

“Wie ein Gummiball ist Berlin, mit einer festen Form, aber sprunghaft. Das ist der Blick von außen. Innen drin, irgendwo, da pulsiert die deutsche Hauptstadt, da blutet sie, da ist sie aufgeschlitzt und offen, da vermischt sich ihr Dreck mit Traurigkeit, und deswegen fühlt sich Jo so zu ihr hingezogen. Auch sie sieht von außen aus wie eine, der das Leben nichts anhaben kann, die die Hiebe wegsteckt. Und hinter der Fassade, da klaffen Risse.” (S. 261)

Dunkelgrün fast Schwarz erzählt eine Geschichte über falsche Freundschaften, Verrat und vor allem über das Leben. Es handelt von Hoffnungen und Bedauern. Bedauern, seinen Träumen nicht genug nachgejagt zu haben, falsche Entscheidungen getroffen zu haben oder auch einfach vom Schicksal überrollt worden zu sein. Aber es handelt auch davon, mit diesem Bedauern zu leben, neu anzufangen oder seine Wertvorstellungen noch einmal zu überdenken, sich dem Bedauern hinzugeben oder auch in der absoluten Ernüchterung nochmal eine Chance zu sehen. Man kann zufällig falsche Entscheidungen treffen oder zu ihnen gedrängt werden, man kann sich aber auch ganz bewusst dafür entscheiden, das hängt wohl davon ab, was das Leben bisher so mit einem gemacht hat und welchen Menschen man begegnet ist.

Fazit

Jetzt habe ich diese Rezension geschrieben und kann das Buch immer noch nicht ganz einordnen. Was war das, was mich da mit dieser Farbenpracht, mit diesen ganzen Emotionen überrollt hat? Es ist auch egal, dieses Buch ist für mich in jeder Hinsicht wunderbar. Es ist spannend, es ist traurig, es ist hoffnungsvoll und es ist einfach nur wunderschön geschrieben. Dennoch ist es kein einfaches Buch, es nimmt einen emotional mit, wühlt einen auf und beschönigt nichts. Aber genau diese Mischung macht es für mich besonders.
Meiner Meinung nach hat Mareike Fallwickl da ein herausragendes Debüt hingelegt. Ich hoffe wir dürfen in Zukunft noch viel mehr von ihr lesen.

Dunkelgrün fast schwarz ist definitiv ein Jahreshighlight für mich!

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Angaben zum Buch

 

Titel: Dunkelgrün fast schwarz
Autorin: Mareike Fallwickl
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
erschienen: 05. März 2018
Seiten: 475
ISBN: 9783627002480
Preis: 24,00 €

Link zum Buch*

 

 

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(c) Cover: Frankfurter Verlagsanstalt
Beitragsbild: Ricarda Schneider

 

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9 Kommentare

  • booksnstories

    Ich habe diesen Roman auch vor kurzem gelesen und er hat mich ebenso mitgerissen wie dich. Nicht nur sprachlich sehr gelungen, auch der Aufbau und die Erzählstruktur sind toll.
    Ein Buch, das die Lobeshymnen verdient, die flächendeckend darauf gesungen werden.

    Buchige Grüße
    Christina von booksnstories

    • ricysreadingcorner

      Liebe Christina,

      das sehe ich ganz genau so! Ich war erst etwas skeptisch, weil es einfach so sehr gehyped wurde. Da geht man natürlich auch mit ganz anderen Erwartungen daran. Ich muss sagen, diese wurden bei mir tatsächlich noch übertroffen!

      Liebe Grüße
      Ricy

  • Vera

    Hallo Ricy,
    toll geschriebene Rezension, der Funke ist auf jeden Fall übergesprungen und ich freue mich schon sehr darauf mit dem Buch anzufangen. Glücklicherweise haben wir ja nächste Woche einen Feiertag und dadurch mehr Zeit zum Lesen….
    Liebe Grüße
    Vera

  • -Leselust Bücherblog-

    Hallo Ricy,
    Was für eine tolle Rezension. Mir ging es ja ganz ähnlich mit diesem Buch –ich konnte meine Meinung auch ganz schwer in Worte fassen.
    Aber ja, was für ein Buch. So emotional, so besonders. Und dieser Schreibstil. Hach. Ich hoffe auch, wir bekommen noch viele weitere Bücher von der Autorin.
    Oh, und vielen Dank für die Verlinkung übrigens. :)
    Ganz liebe Grüße,
    Julia

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