Rezension: “Sumerland – Bd. 1: Prinzessin Serisada”- Johannes Ulbricht
Titel: Sumerland Band 1: Prinzessin
Serisada
Autor: Johannes Ulbricht
Verlag: Panini (erschienen am 22. August 2016)
Seiten: 352 (Taschenbuch)
ISBN: 978-3833233555
Preis (Taschenbuch): 14,99€ (eBook: 11,99€)
(Wer gerne mein Gesamt-Fazit zur Duologie lesen möchte kann sofort zur Rezension von Band 2: Prinz Zazamael springen – um euch nicht zu spoilern würde ich euch aber raten direkt zum Fazit zu scrollen!)
Klappentext
Nur wenige Eingeweihte wissen, dass unsere Zivilisation nichts als eine kollektive Illusion ist, in der die Menschen gefangen gehalten werden. In Wahrheit tobt ein geheimer Krieg in der phantastischen Realität hinter der Scheinwelt unseres Alltags. Auf der einen Seite steht der babylonische Stadtkegel von Waylhaghiri, in dem alle Zivilisationsepochen der Menschheit übereinander geschichtet sind. Diese einzige Stadt auf der Welt lebt von der Perfektionierung der zivilisatorischen Ästhetik. Glamour, Moden und kalkulierte Manipulation sind bis in die Intimsphäre allgegenwärtig. In diesem System müssen die Bewohner ihren sozialen Status jeden Tag aufs Neue verteidigen. Auf der anderen Seite steht die umgebende Wildnis des Sumerlandes, in der Tiermenschen leben, die verspielt und kindlich, aber auch unberechenbar und grausam sind. Die jahrhundertealten, doch ewig kindlichen Herrscher beider Reiche, Prinz Zazamael und Prinzessin Serisada, kämpfen erbittert um die Vorherrschaft. Zazamael benötigt für die endgültige Dominanz seines Reiches – die in Form einer Emulsion von Traum und Wirklichkeit namens „große Fusion“ erfolgen soll – den „wilden Wein“ als rettendes Elixier. Auf der Suche nach dem „wilden Wein“ dringt er unter ständiger Bedrohung durch die sumerländischen Tiermenschen ins Herz von Serisadas Reich vor. Auf dieser Reise werden alle seine Gefährten einer nach dem anderen hingemeuchelt, wobei der Prinz das eigentliche Ziel des Attentäters zu sein scheint. Erst einen Schritt vor dem Ziel angekommen erkennt Zazamael, wer der Mörder ist. Währenddessen gelingt es Serisada, als Spionin in Waylhaghiri einzudringen. Dort hat sie die schwierige Aufgabe, sich in der Zivilisation zu behaupten, ohne enttarnt zu werden. Zunächst gelingt ihr eine beachtliche Karriere als Designerin, bis es zu einem der regelmäßigen Zusammenbrüche der ästhetischen Muster in Waylhaghiri kommt, wodurch – wie jedes Mal – ein Teil der Stadt untergeht, indem er von dem tödlichen Silber bedeckt wird. Leider ist es der Teil der Stadt, den Serisada designt hat und in dem sie lebt.
Ich habe gestern Band 2 dieser Duologie beendet und ich muss sagen mir schwirrt immer noch ein wenig der Kopf…
Vor etwa einem Monat wurden mir beide Bücher als Rezensionsexemplare angeboten und nachdem mich der Klappentext irgendwie ein wenig an die Matrix-Filme erinnert hat, wusste ich, dass ich die Bücher lesen muss (dass ich ein riesiger Matrix-Fan bin muss ich an dieser Stelle wohl nicht erwähnen).
Warum ich Band 1 erst jetzt, nachdem ich den zweiten Band gelesen habe, rezensiere? Nun ja, ich konnte es vorher einfach nicht. Ich wusste nicht, was ich von dem Buch halten sollte, geschweige denn, wie ich es irgendwie bewerten sollte. Mein Kopf war voller Fragezeichen und ich erhoffte mir vom zweiten Band erst einmal ein paar Antworten. Ich versuche dennoch hier Band 1 zu besprechen, ohne großartig zu spoilern.
Die Protagonisten sind in diesem Buch zum Einen Prinzessin Serisada, die ewig kindliche Herrscherin des Sumerlands und Prinz Zazamael, der ebenfalls ewig höchstens jugendliche Herrscher der Trichterstadt Waylhaghiri. Sumerland und Waylhawas? Ja, also: Waylhaghiri ist ein riesiger Stadtkegel, der von unten nach oben alle Zivilisationsepochen der Menschheit darstellt und im Grunde die einzige Zivilisation der Welt ist. Unten am Boden des Trichters befindet sich ein silberner See, der alles, was hineinfällt, unwiderruflich verschluckt. Die Bürger Waylhaghiris leben in einer ständigen Illusion unserer realen Welt. Ihr Leben wird bestimmt durch Sachzwänge und Manipulationen verschiedenster Marketing-Experten und Designer. Jeden Tag aufs Neue müssen sie bestimmte Aufgaben erfüllen um ihren Status zu sichern oder bestenfalls zu steigern, denn jeder möchte natürlich möglichst weit nach oben. Nur die wenigsten wissen aber offenbar, dass sie sich in einem Stadttrichter befinden und dass ihre täglichen Aufgaben dazu da sind weiter nach oben zu kommen und zum obersten Gebot der Stadt – der Erzeugung von Wohlstand und Glamour -beizutragen. Um den Stadtkegel herum erstreckt sich das Sumerland. Eine wilde Landschaft, in der scheinbar ebenfalls kindliche Tiermenschen leben und eben auch – einsam in ihrem Palast – Prinzessin Serisada.
Prinz Zazamael dringt mit seinen Okkupationstruppen auf der Suche nach dem Wilden Wein, den er für die große Fusion – die Vereinigung von Illusion und Wirklichkeit – benötigt, immer weiter in das Sumerland vor. Irgendwann sieht sich Serisada gezwungen, ihren sicheren Palast zu verlassen und sich Undercover in die Stadt zu schleichen, um dort eine Revolution zu entfachen.
Neben den Königskindern gibt es noch zwei weitere Protagonisten. Zum Einen ist da die namenlose Ich-Erzählerin, die bei einer Art Werbeagentur tätig ist und zum Teil hinter die Kulissen der illusionären Welt blicken kann. Sie weiß von Waylhaghiri und dem Sumerland und verfolgt die Geschehnisse um Serisada und Zazamael immer wieder auf scheinbar telepathische Weise. Andererseits geht sie voll und ganz in den Zwängen und Manipulationen der Illusion auf, nutzt aber auch ihr Wissen um andere zu manipulieren. Sie spricht die ganze Zeit in einem inneren Monolog mit einem imaginären alten Freund, der sie damals wohl in das Geheimnis von Waylhaghiri und dem Sumerland eingeweiht hat und dann auf tragische Weise gestorben ist. Sie fühlt sich nicht wohl in seiner gefühlten Gegenwart und gibt ihm die Schuld dafür, dass sie nun von den Manipulationen und den Sachzwängen weiß und dennoch von ihnen abhängig ist, was ihr das Leben ziemlich schwer macht. Dann ist da noch Susanne, die Nichte der namenlosen Ich-Erzählerin. Sie behauptet, dass sie das Sumerland und Waylhagiri nur erfunden hat und dass alles nur ihr Spiel ist. Sie erzählt der namenlosen Protagonistin ihre Geschichte, die dies erst als kindliche Spinnereien abtut. Aber warum weiß sie dann überhaupt davon und warum entdeckt sie immer mehr parallelen zwischen Susannes Geschichte und dem Geschehen im Sumerland?
Ich komme direkt zum Punkt. Die Protagonisten waren mir allesamt unsympathisch. Sie kamen mir irgendwie oberflächlich und ziemlich opportunistisch vor. Gut, das gehört vielleicht auch dazu in einer Stadt, die nur auf die Erzeugung von Wohlstand und Glamour ausgelegt ist. Denn aus rein ökonomischer Sicht ist Wayhalghiri ein Vorzeige-Projekt.
Zudem fand ich die Charaktere auch wenig authentisch. Viele unbedachten Verhaltensweisen, passen zwar zu den kindlichen Charakteren, die Dialoge hingegen beinhalten Worte, die Kinder einfach nicht benutzen. Ich finde die Idee toll, dass Susanne allen Spielsachen entsagt und auch andere Kinder dazu bringt, diese wegzugeben, weil sie sich von dem Schein der bunten Dinge hinters Licht geführt fühlt und sich lieber ihre eigenen Spielsachen herbeidenkt. Selbst das ist schon ein sehr reifer und tiefgründiger Gedankengang für ein Kind, doch wie sie diesen in Worte fasst und über Schein und Illusion etc. spricht, geht für mich einfach zu weit. Desweiteren erfährt man kaum etwas über die Hintergründe der Charaktere, sie wirken seltsam irgendwie aus der Welt (egal welcher) herausgerissen…
Anfänglich, dachte ich, dass ich gar nicht richtig in die Geschichte hereinkomme. Ich fand die Handlungsstränge unglaublich verwirrend und musste mich auch erst einmal an den Gedanken gewöhnen, dass die Menschen in einem Stadtturm leben und darin trotzdem unsere ganze Welt sehen – aber gut, das ist Fantasy und ähnelt in diesem Aspekt der Story von Matrix, damit kann ich leben. Hier verwirrte mich aber vor allem die Ich-Erzählerin, die ja wusste, dass sie in einer Trichterstadt lebt und dennoch davon spricht in andere Städte ja, gar andere Länder zu reisen. Scheinbar sieht sie nur zwischendurch in die wirkliche Welt und kann ihr Wissen sonst ziemlich gut ausblenden. Alle Bürger Waylhaghiris, denen wir begegnen wissen offenbar, dass sie in diesem Stadtkegel, mit dem tiefen bedrohlichen Abgrund in der Mitte leben und dass sie bestimmte Aufgaben erledigen müssen um weiter nach oben zu kommen. Angeblich soll das den meisten aber ja nicht bewusst sein. Das machte das Lesen für mich erstmal sehr mühselig, da mir die Logik hier etwas fehlte und ich ständig versuchte, diese unterschiedlichen “Bewusstseinsstufen” auseinanderzuhalten und irgendwie eine Antwort auf die Fragen “Wer weiß denn jetzt was?” und “Wo sind die anderen, die das nicht wissen?” zu finden. Denn Letztere kommen irgendwie nur in den Alltagserzählungen der namenlosen Ich-Erzählerin vor. Wenn ihr euch jetzt fragt: Was schreibt sie da und wie meint sie das und überhaupt hä? Ja, dann wisst ihr, wie ich mich beim Lesen des Buches am Anfang gefühlt habe. Ich hätte mir einfach ein bisschen mehr Erklärungen für die beiden Welten und vor allem die Bewohner gewünscht.
Als irgendwann die Erzählstränge um Serisada, Zazamael und Susanne eigenständiger wurden, gewann die Story aber zunehmend an Spannung und meine Zweifel und Fragen rückten etwas in den Hintergrund.
Mehr und mehr hatte ich das Gefühl, dass ich manches vielleicht gar nicht logisch hinterfragen, sondern vielmehr als große intelligente Metapher sehen sollte. Denn intelligent und tiefgründig ist dieses Buch. Immer wieder werden psychologische Aspekte und philosophische Fragen in die Story eingebunden, so findet sich z.B. eine Anspielung auf Platons Höhlengleichnis, das die Wahrnehmung der Menschen in der Trichterstadt erklären soll. Der gesamte Mechanismus zur Erzeugung von Wohlstand und Glamour in Waylhaghiri wirkt wie ein einziges Wirtschaftspsychologisches Gedankenexperiment. Das Sumerland hingegen ist das Gegenstück zu dieser künstlichen Welt und zeigt die reine Natur.
Obwohl ich das Frontcover wunderschön finde und es ewig betrachten und immer neue Details entdecken könnte, finde ich, dass das Buch durch Titel und Gesamtcover ein bisschen wie ein Kinderbuch wirkt. Dass es von Panini verlegt wird, trägt vielleicht zu diesem Eindruck bei. Doch es ist definitiv kein Kinderbuch sondern eher eine große und kritische Metapher für unsere Wirklichkeit, was in Band 2 jedoch noch deutlicher wird.
Zudem verrät der Klappentext schon sehr viel, was der Story ein wenig die Spannung nimmt.
Fazit
Sumerland wird als “Fantasyroman” beworben. Für mich fühlte es sich aber vor allem wie eine kreative und spielerische Konsum-, Kapitalismuskritik an. Und auch nur dadurch, dass ich beschlossen habe, es als Metapher zu sehen, konnte ich über einige Stellen in der Story hinwegsehen, die sich für mich logisch nicht ganz erschließen. Band 1 endet zudem mitten in der Handlung. Zum Verständnis, sollte Band 2 also direkt hinterher gelesen werden.
Wer bereit ist, sich viele Gedanken über das Gelesene zu machen, sich auf eine nicht ganz einfache fantastische Welt einzulassen, die es auch nicht dabei belässt einfach “fantastisch” zu sein, sondern andererseits gleichzeitig unserer realen Gesellschaft den Spiegel vorhält, dem kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen.
Langsam fügte sich wenigstens für mich alles zu einem einigermaßen logischen Schluss zusammen. Dieser logische Schluss bleibt dennoch nur eine Vermutung, eine Interpretation…und vor allem braucht man Band 2!
Und noch eine kleine Anmerkung zum Schluss: Die Bücher gehören zu einem Augmented-Reality-Spiel, welches man kostenlos auf www.endederwelt.de herunterladen kann. Mann muss verschiedene Symbole, die in ganz Deutschland verteilt sind (die man aber auch einfach auf der Seite abscannen kann), mit der Handykamera einscannen und dann öffnet sich eine andere Realität, in der man Rätsel lösen muss. Leider hat das auf meinem Handy aus mir unbekannten gründen nicht funktioniert. Die App hat die Symbole einfach nicht erkannt…schade!
Der erste Eindruck:
Die Story:
Die Charaktere:
Die Erzähltechnik:
Schreibstil:
Aussage/Bedeutung:
Titel/Cover dieser Ausgabe:
Fazit: 3,8 Sterne!
Vielen Dank für das Rezensionsexemplar, Johannes Ulbricht!
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