[Rezension] “Die Unsterblichen” von Chloe Benjamin
Und mal wieder ein absoluter Cover-Kauf. Ist es nicht wunderschön? Und nach dem Lesen des Romans wurde mir auch noch die tiefere Bedeutung bewusst, aber dazu später mehr.
Worum geht’s?
Die Geschwister Simon, Klara, Daniel und Varya Gold langweilen sich im heißen Sommer 1969 in New York zu Tode. Als sie erfahren, dass eine Wahrsagerin in der Gegend sein soll, die einem das genaue Todesdatum vorhersagen kann, klingt das nach einer spannenden Abwechslung. Sie kratzen ihr ganzes Taschengeld zusammen, um sich von der geheimnisvollen Frau ihr Schicksal vorhersagen zu lassen. Sie ahnen noch nicht, wie sehr diese Prophezeihungen ihr Leben beeinflussen werden.
Simon geht nach San Francisco, um seine Liebe endlich frei ausleben zu können. Klara beginnt eine Karriere als Magierin und bekommt dabei zunehmend schwierigkeiten selbst Realität und Illusion auseinanderzuhalten. Daniel findet einen sicheren Job als Arzt bei der Army und Varya verschreibt ihr Leben ganz der Altersforschung.
Meine Meinung
Die Unsterblichen beginnt wie eine klassische Familiengeschichte. Die vier Geschwister Gold verbringen die scheinbar endlosen Sommerferien in ihrer stickigen New Yorker Wohnung, als ihnen eine Idee kommt, die ihr Leben verändern wird. Simon, Klara, Daniel und Varya könnten unterschiedlicher nicht sein. Simon, der Jüngste, ist emotional und auf der Suche nach Liebe und Selbstverwirklichung. Klara träumerisch und impulsiv, kann mit Konventionen nicht viel anfangen. Daniel, wahrscheinlich der mit dem stärksten Familiensinn, sucht vor allem Sicherheit und Varya die älteste, stellt Vernunft und Ordung über alles. Dass die Prophezeihungen, die sie an dem heißen Sommertag von der mysteriösen Frau erhalten, sie auf so unterschiedliche Weise beeinflussen werden, scheint da nicht verwunderlich. Dass sie ihre ohnehin schon verwurzelten charakteristischen Eigenschaften jedoch ans Äußerste treiben und sie als Familie sogar auseinanderreißen könnten, haben sie jedoch nicht geahnt.
“Ich mache sie gesünder”, sagt sie. “Meinetwegen haben sie ein längeres Leben”.
“Aber kein schöneres.” Luke steht jetzt vor ihr, und sie drückt sich ins Sofa.
“Sie wollen nicht in Käfigen leben und sich von Trockenfutter ernähren. Sie wollen Licht und Wärme, sie wollen Spaß und Abenteuer! Sie wollen Gefahr! Was für ein Schwachsinn, unser Überleben wichtiger zu nehmen als unser Leben. So als könnten wir das eine oder das andere kontrollieren…”
Die Unsterblichen, Chloe Benjamin, S. 440
Nach einem kurzen Prolog, in dem wir die Geschwister beim Besuch bei der Wahrsagerin begleiten, beginnt der Hauptteil des Buches, der wiederum in vier Teile unterteilt ist. In jedem verfolgen wir das weitere Leben jeweils eines Geschwisterkindes. Ich möchte gar nicht allzuviel über den Inhalt sprechen, da dies bei dieser Geschichte kaum spoilerfrei möglich ist. Ganz knapp gesagt, geht es darum, was das Wissen um den eigenen Todestag mit den Geschwistern macht, wie sie es zunächst zu verdrängen versuchen und es sie doch unbewusst beeinflusst, die Last dieses Wissens sie doch immer mehr erdrückt und ihre Handlungen bestimmt. Wahrsagerei, das ist doch nur HocusPocus – oder? Jein, das kommt wahrscheinlich darauf an, wie man damit umgeht.
Die Handlung beginnt sehr schnell und schreitet mit schnellem Tempo voran. Auch wenn mir keiner der Charaktere richtig sympathisch war, fieberte ich schnell mit ihnen mit, wollte wissen wie es mit ihnen weitergeht.
“Und was ist, wenn ich mich ändere?” Es scheint Varya unmöglich, dass ihre Zukunft bereits in ihr ist wie eine Schauspielerin, die Jahrzehntelang hinter den Kulissen auf ihren Auftritt wartet.
“Dann wärst du eine Ausnahme. Denn die meisten Menschen ändern sich nicht.”
Die Unsterblichen, Chloe Benjamin, S. 27
Dadurch, dass in den jeweils einem Kind zugeordneten Abschnitt teilweise mehrere Jahre, ja ganze Jahrzehnte aufgearbeitet werden, kommen keine unnötigen Längen auf, sondern es werden einzelne wichtige Momente genauer gezeigt, während man über das restliche Leben eher indirekt oder zusammenfassend und rückblickend etwas erfährt. Dadurch, dass die Autorin, trotz der Zeitsprünge stets im Präsens schreibt – was ich sonst gar nicht leiden kann, mich hier jedoch komischerweise kein bisschen störte, hat man aber immer das Gefühl mit vor Ort zu sein, alles mitzuerleben, statt nur einen Lebenslauf heruntergerasselt zu bekommen. All das trägt zu einem schnellen Lesetempo bei. Dieses wurde erst beim letzten Abschnitt – etwa dem letzten Viertel des Romans – etwas gedämpft. Villeicht konnte ich aber auch einfach mit gerade dem Charakter besonders wenig anfangen.
Die meisten Erwachsenen behaupten, sie würden nicht an Magie glauben, doch Klara weiß es besser. Aus welchem anderen Grund würden Menschen sonst sich verlieben, Kinder in die Welt setzen, Häuser kaufen, obwohl die Welt voller Beweise dafür ist, dass nichts von Dauer ist.
Die Unsterblichen, Chloe Benjamin, S.144
Chloe Benjamin schreibt sehr klar und flüssig, ohne irgendwelche Schnörkel und trotzdem regt ihr Schreibstil vor allem jedoch die Dialoge und Aussagen der Charaktere zum Nachdenken an. Manchmal war mir der Schreibstil fast etwas zu einfach, zu sachlich für dieses doch sehr nachdenklich stimmende Thema des Romans.
Über knapp 500 Seiten verfolgen wir das Leben der Geschwister Gold, ihrer Eltern und ihrer Nachkommen. Man wird von dieser Familie mitgerissen, die so viele Schicksalsschläge zu verkraften hat. Wie viele wurden durch diesen einen Tag im Sommer 1969 ausgelöst?
Die Unsterblichen regt wirklich zum Nachdenken an. Die Fragen auf dem Klappentext: “Wie würdest du leben, wenn du wüsstest, an welchem Tag du stirbst?” und “Wer führt ein erfüllteres Leben? Der, der Risiken eingeht – oder der, der vorsichtig ist?” sind die zentralen Fragen, um die sich diese Familiengeschichte rankt.
Und nun kommen wir beim Stichwort “ranken” nochmal kurz auf dieses wunderschöne Cover zurück. Ein verästelter Baum, mit verschiedenfarbigen blättern, vor einem Sternenhimmel. Das sieht nicht nur ganz toll aus, sondern hat vor dem Hintergrund der Geschichte durchaus eine Bedeutung und könnte sowohl einen Familienstammbaum, als auch einen Lebensbaum (der ja auch im jüdischen Glauben, der das Leben der Gold-Kinder mehr oder weniger prägt, eine wichtige Rolle spielt) zeigen. Die verschiedenen Gabelungen, die unterschiedlich alten und teilweise herabfallenden Blätter und der Sternenhimmel lassen sich symbolisch betrachtet auf das Leben der Familie, auf ihre schicksalhaften Entscheidungen auf ihre Verluste und ihre Hoffnungen übertragen. Selten habe ich ein so passendes Cover gesehen!
Die Unsterblichen ist eine spannende, kurzweilige und dennoch nachhaltig beeindruckende Familiengeschichte. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!
Vielen Dank an das Bloggerportal und den btb Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!
Anzeige // Angaben zum Buch
Titel: Die Unsterblichen
Autorin: Chloe Benjamin
Übersetzung: Charlotte Breuer und Norbert Möllemann
Verlag: btb
erschienen am: 29. Oktober 2018
Seiten: 480
ISBN: 978-3-442-75819-7
Preis (gebunden): 20,00 €
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