Bücher,  Gedanken

Gedanken: “Was die Jugend braucht ist Disziplin und einen vollen Bücherschrank”

Das oben genannte Zitat stammt von der Modeschöpferin Vivienne Westwood.
Zum ersten mal darauf gestoßen bin ich letztes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse, wo der Verlag teNeues Stofftaschen damit als Aufdruck verkaufte. Und seitdem lässt es mich nicht mehr los. Es ist einfach so wahr.
Wer meine “Über mich”-Seite gelesen hat weiß, dass ich von Beruf Sozialpädagogin bin und ich arbeite genau mit der Altersklasse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen (also jungen Menschen, die meist gar nicht so viel jünger sind als ich selbst). IMG_20170610_190525
Zum ersten Teil des Zitates kann ich sagen, ja, Disziplin ist ein ganz wichtiges Thema, wirkt aber in der heutigen Zeit auch oftmals altmodisch, ja fast verrufen, an totalitäre Systeme erinnernd. Ich sehe das nicht so! Viele Kinder kriegen den sogenannten Belohnungsaufschub, das typische “Erst die Arbeit, dann das Vergnügen”, oder dass es einfach Regeln gibt, an die man sich halten muss, einfach gar nicht mehr richtig beigebracht bzw. vorgelebt. Im Gegensatz zu den Erziehungsmethoden vor einigen Jahrzehnten, wird die Erziehung heute immer “anti-autotitärer”. Kinder bekommen gesagt, dass sie alles sein können, was sie möchten, dass sie vollkommen frei sind in ihren Entscheidungen. Und das ist ja auch vollkommen richtig. Aber dann müssen sie auch beigebracht bekommen, diese schier endlosen Chancen und Möglichkeiten richtig zu nutzen, selbstständig zu werden und die Bedingungen zu erkennen, an die der Erfolg und die Freiheit geknüpft sind. Nämlich Eigeninitiative und Disziplin. Ganz knapp gesagt: von nix kommt nix! Vom nichts tun wird man kein Superstar und auch kein Millionär…Man kann nicht nur nehmen, mann muss auch etwas geben (noch etwas, das furchtbar altmodisch klingt :D). Und, dass oft nur die eine Seite dieser “Freiheits-Medaille” erkannt wird, ist meiner Meinung nach fatal. Aber ich will hier jetzt kein pädagogisches Fass aufmachen…

Mir geht es in diesem Beitrag um die Bücher und welchen Wert sie für Kinder und Jugendliche haben und haben könnten.

Ich persönlich bin mit Büchern aufgewachsen und möchte es wirklich nicht missen. Ich hatte Kinderbücher ohne Ende und ständig musste mir jemand vorlesen, so oft, dass mein Opa mir irgendwann weißmachen wollte, er könne nicht lesen, damit er mir nicht zum hundertsten mal dasselbe Buch vorlesen musste…(ich habe dich damals schon durchschaut Opa!).
Mit sechs habe ich das erste mal selbst ein Bilderbuch “geschrieben”. Es hieß “Coco – das Pfützenmonster” und handelte von einem Mädchen, das bei einem Spaziergang im Regen auf ein Monster in einer Pfütze stößt und sich mit ihm anfreundet.
Es war natürlich voller Fehler, denn Erstklässler haben ja zumindest damals (auch so ein pädagogisches Konzept das immer wieder mal geändert wird, da die Sinnhaftigkeit nicht ganz klar ist) erstmal gelernt, so zu schreiben, wie man es hört…aber immerhin war es fantasievoll. Und diese blühende Fantasie hatte ich – da bin ich mir sicher – den vielen Büchern zu verdanken. Bücher machen also kreativ und regen die Fantasie an. Eine wichtige Fähigkeit in einer Welt in der einem ja angeblich “alle Türen offen stehen”. Da braucht man natürlich auch erstmal Ideen.

Ein nächster und meiner Meinung nach fast wichtigster Punkt, in dem Bücher Kindern und Jugendlichen helfen können, ist die Persönlichkeitsentwicklung. Kinder lernen ja bekanntlich an Vorbildern. Das sind natürlich erstmal Eltern und Geschwister sowie Freunde. Wenn man Bücher liest, kommen auch noch die fiktiven “Freunde” hinzu. Jeder weiß, dass der Umgang mit Gleichaltrigen in der Schule nicht immer einfach ist und gerade als introvertierter Mensch gelangt man schnell in die Außenseiterrolle, fühlt sich oft nicht verstanden. In dieser Situation können Bücher ein unglaublich wichtiger Anker sein. Sie bestätigen einen in moralischen Einstellungen oder regen andererseits auch mal zum Nachdenken und zum Infragestellen eigener und fremder Einstellungen an und man kann an den Erfahrungen der fiktiven Charaktere lernen.
Ich nehme hier mal wieder eins meiner liebsten Beispiele, eine Bücherreihe, die eine ganze Generation von Bücherwürmern geprägt hat: Harry Potter. Das Buch mach deutlich: jeder hat etwas, mit dem er etwas zur Gemeinschaft beitragen kann –  wertvoll ist – und gemeinsam ist man stark. Harry (der Junge, der sich bis zu seinem 11. Geburtstag als der einsamste und unwichtigste Mensch der Welt vorkam, ist plötzlich der einzige Mensch, der die Fähigkeit hat, den grausamsten Zauberer aller Zeiten zu stürzen. Er fühlt sich dieser Aufgabe keineswegs gewachsen, aber das Wissen um seine Freunde an seiner Seite gibt ihm Mut), Ron (der liebenswürdige Trottel, der ersteinmal nichts richtig hinbekommt und der in der Masse seiner Geschwister in der Familie auch irgendwie untergeht, profitiert durch sein Wissen über die Zaubererwelt und beweist Harry immer wieder die Treue, die dieser dringend braucht, um die Kraft für seine Aufgaben zu haben), Hermine (die oftmals als Streberin und von den rassistischen Mitschülern als “Schlammblut” abgestempelt wird, rettet die anderen durch ihr enormes Wissen und ihre Weisheit immer wieder aus misslichen Lagen) und die Liste lässt sich fortführen…Luna (die komplett Verrückte, die jedoch oft als Einzige die Wahrheit zu erkennen scheint), Neville (der “Totalversager”, der am Ende eine entscheidende Tat ausführt, die den Sieg über Voldemort ermöglicht)…und nicht zu vergessen: Dumbledore, den man sich mit seinen weisen Sprüchen selbst als Lehrer wünscht.

Und Harry Potter ist nur ein Beispiel unter vielen tollen Jugendbüchern, die eine Vielzahl an Vorbildern geben, die Lösungsstrategien aufzeigen und Kindern und Jugendlichen das Gefühl geben können, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind.
Starke Charaktere, die für ihre Überzeugungen kämpfen oder auch ganz einfach zeigen, wie man als Jugendlicher mit alltäglichen Problemen umgehen kann, das ist es, was Jugendliche brauchen und nicht RTLs “Mitten im Leben” (Mitten im Leben – Haben wir täglich in der Realität genug) oder Youtube-Stars, die einem weiß machen wollen, dass man sich nur stark geschminkt und mit einer teuren Foundation in der Hand im Internet präsentieren muss, um Millionär zu werden.

Und zu guter Letzt helfen Bücher, die sprachlichen Kompetenzen zu entwickeln. Eine gute Ausdrucksfähigkeit ist so wichtig und leider unter vielen Kindern und Jugendlichen heutzutage nur so wenig vorhanden (“Du musst pünktlich kommen und dich an unsere Absprachen halten! Sonst wirst du immer wieder Probleme bekommen.” – “Bohh, Alter, was für’n Film!” – das meine ich). Lesen hilft automatisch, das persönliche Vokabular zu erweitern. Gerade in einer zunehmend multi-kulturellen Gesellschaft, in der Sprache DER Schlüssel zur Integration ist, müsste das Lesen immer mehr an Bedeutung gewinnen. Würde ich nicht regelmäßig englische Bücher lesen, sondern müsste ich auf das, was ich mal in der Schule gelernt habe zurückgreifen, hätte ich sicherlich nur die Hälfte des Vokabulars und wäre nur wenig vertraut mit wichtigen Redewendungen.

Laut der JIM-Studie von 2016 lesen immerhin 38% der 12 bis 19-Jährigen mehrmals pro Woche zum Vergnügen. Das ist ja schon mal gar nicht so schlecht, könnte aber auch besser sein.

Ich finde, dass gerade in den Schulen anders mit Büchern umgegangen werden muss, um mehr Schüler vom lesen zu überzeugen. Dass jemand, der privat noch nie viel gelesen hat, keine Lust hat sich durch 300 Seiten “Don Carlos” zu quälen und später eine mehrseitige Dialoganalyse zu Akt II, Szene 8 zu schreiben (aber bitte nur mit dem Ergebnis, das die Unterrichtshilfe des Lehrers vorgibt!), ist ja wohl kaum verwunderlich. Natürlich muss man sich an einen Lehrplan halten und die Kompetenz, Texte zu analysieren halte ich auch entgegen vieler anderer Meinungen für enorm wichtig, aber es muss auch etwas anderes geben! Unser Englisch Lehrer hat zum Beispiel keinen Hehl daraus gemacht, dass er selbst die Nase voll hat, von Shakespeare. Deshalb haben wir das Thema so schnell wie möglich abgehandelt (um auf das Zentral-Abi vorbereitet zu sein) und dann im Kurs ein Buch ausgewählt, das wir gerne lesen wollten. Das war dann unter anderem “Fight Club” von Chuck Palahniuk. In einer Stunde haben wir dann selbst eine Selbsthilfegruppe (wie sie in diesem Buch ja zu Hauf vorkommen) nachgespielt. Jeder sollte ein Problem aufschreiben, das ein anderer dann “spielen” musste. SO lernt man Englisch und so kriegt man Spaß am Lesen! Aber leider ist diese Art zu unterrichten wohl eher eine Ausnahme. Es müsste viel mehr einfach über Bücher und die darin enthaltenen Themen gesprochen werden, als immer nur stur nach einem Muster “wichtige” Textpassagen zu analysieren.

Und es gibt so viele weitere Möglichkeiten das Lesen von Kindern und Jugendlichen zu fördern: “Lese-Ecken” in Kindergärten und offenen Ganztagsschulen. Lese-Clubs in Offenen Treffs oder der örtlichen Bücherei, Lese-Nächte z.B. angeboten von Büchereien oder Buchhandlungen, bei der die Kinder als Charaktere verkleidet erscheinen können und an verschiedenen Aktionen zum Buch-Thema teilnehmen können oder auch ganz einfach Bücher-Spenden an Kinderheime, Grundschulen, Flüchtlingsheime oder auch öffentliche Bücherschränke.
Und natürlich, wie schon gesagt, der offenere und weniger gezwungene Umgang mit Büchern und dem Lesen in der Schule. Ja, die Lehrpläne geben Werke vor, die gelesen werden müssen. Und diese Werke haben ja auch oft ihre Berechtigung auf dieser Liste zu stehen. Aber niemand gibt vor, in welchem Umfang sich damit beschäftigt werden muss, und dass nicht auch andere Bücher gelesen werden dürfen. Gute Buchverfilmungen zu zeigen reicht ja vielleicht auch schon aus, das Interesse bei dem ein oder anderen zu wecken und wenn nicht, ist der Film wenigstens gehaltvoller als das, was das Nachmittagsprogramm auf RTLII zu bieten hat.

So das reicht auch für heute mit dieser Gedankenkotze, aber seit ich mit diesem Blog begonnen habe wollte ich mal einen Beitrag zu diesem Thema loswerden. Hier ist er :)

Was habt ihr so für Erfahrungen mit Deutsch-/Literaturunterricht gemacht? Gibt es tolle Aktionen zur Leseförderung in eurer Umgebung?

 

Eure Ricy

 

 

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7 Kommentare

  • Jennifer

    Hi Ricy,
    ich bin zwar keine Pädagogin – und hätte weiß Gott keine Geduld dazu! – aber ich kann deine Aussage nur unterstreichen! Gerade in der Schule sollte doch die Lust am Lesen geweckt werden! Es gibt so viele tolle Jugendbücher. Und auch in Tribute von Panem steckt unglaublich viel zur Gesellschaft, zu Medien usw. – wer würde da behaupten, dass solche belletristischen Werke nichts lehrreiches enthalten?
    Auch was die sonstige Erziehung angeht, beobachte ich oft das von dir geschilderte. Ich hab selbst noch keine Kinder, aber ich persönlich finde die Erziehung zur Disziplin auch gar nicht verkehrt. Im Leben hinterher kann man seinem Chef auch nicht sagen, man habe gerade „keinen Bock, ey“. Und auch die Eltern müssen mal tun, was andere sagen. Warum sollten Kinder dieses Wissen nicht anerzogen bekommen?
    VG Jennifer

  • Elisabeth Haag

    Hallo Ricy,
    vielen Dank für Deinen Beitrag, er liefert viele Argumente, warum wir Kindern vorlesen und sie an Bücher heranführen sollten.
    Ich bin Logopädin und setze in Therapien gerne Bilderbücher ein. Dabei ist es mir wichtig, dass sich das Kind das Buch selbst aussucht, um auch sein Interesse zu wecken. Meistens stelle ich dann eine Auswahl zusammen, die zum Entwicklungsstand des Kindes passt.
    Ich würde gerne mehr lesen, aber der Alltagsstress ermüdet mich häufig. Außerdem lese ich ziemlich langsam. Hast Du dahingehend einen Tipp für mich? Grüße Elisabeth

    • ricysreadingcorner

      Hallo Elisabeth,

      danke für deinen Kommentar! Das mit dem Alltagsstress kenne ich nur zu gut. Ich komme selbst auch viel weniger zum Lesen als ich es mir wünsche :/ Ich kann nur empfehlen – gerade für abends nach einem anstrengenden Tag – eine leichte Lektüre auszuwählen. Ich ertappe mich selbst sehr oft dabei, dass ich einen sehr hohen Anspruch an die Bücher habe, die ich lesen möchte. Sie sollen mich möglichst schwer beschäftigen und zum Nachdenken anregen. Am besten soll es aktuell gesellschaftlich relevante Literatur oder aber ein Klassiker sein…ich muss mich dann immer selbst zügeln und mich daran erinnern, dass Lesen vor allem eins ist: mein Hobby. Das heißt, es soll auch Spaß machen, mich unterhalten und auch mal vom Alltag ablenken. In diesen Momenten greife ich dann gerne zu richtig spannenden Psycho-Thrillern, denn die sorgen von alleine dazu, dass man weiterliest, sich die Zeit dafür nimmt und plötzlich ist man mit dem Buch durch. Das motiviert dann nach einer Leseflaute, schnell zum nächsten Buch zu greifen. Eher als wenn man ein halbes Jahr in einem zwar interessanten, aber eben nicht mitreißenden Buch festhängt.
      Außerdem kann ich da Hörbücher empfehlen. Ich selbst bin leider kein richtiger Freund davon, aber ich kenne einige, die so ihr gewünschtes Lesepensum trotz Alltagsstress beibehalten, da man einfach während Autofahrten, beim Hundespaziergang oder auch beim Haushalt, tolle Geschichten hören kann…

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