[Rezension] Das verborgene Spiel von M. L. Rio
“Ein Muss für alle Fans von Donna Tartts Die Geheime Geschichte” (booklist)
Dieser Satz auf dem Klappentext war es, der mich davon überzeugte, dass ich dieses Buch lesen muss. Ich liebe Die Geheime Geschichte, ein Roman um eine kleine eingeschworene Gruppe von Studenten an einem abgeschiedenen idyllischen College, die ein Verbrechen begehen und mit einer Schuld leben müssen, die zunächst ihre Gruppe aber auch jeden einzelnen von ihnen zu zerbrechen droht…Wer mehr wissen möchte kann hier meine Rezension lesen!
Da die Bewertungen zu M. L. Rios Das Verborgene Spiel, deutlich auseinandergingen, ging ich mit gemischten Gefühlen an diese Lektüre heran. Würde es dem großen Vorbild von Donna Tartt wirklich so sehr ähneln? Könnte es auch nur annähernd an Die geheime Geschichte heranreichen?
Worum geht’s?
Oliver Marks ist Student am renommierten Dellecher College, an welchem in abgeschiedener idyllischer Atmosphäre Geisteswissenschaften und Künste gelehrt werden. Er gehört zu den sieben Schauspiel-Studenten, die es bis ins vierte Jahr geschafft haben und zu einer eingeschworenen kleinen Gemeinschaft geworden sind. Das Schauspiel und Shakespeare sind in ihrem Leben allgegenwärtig. Am Morgen nach einer rauschenden Party treibt jedoch einer von ihnen tot im College See. Was ist geschehen? Sollen Sie der Wahrheit ins Auge sehen oder die Show weiterspielen? Wie sehr lässt sich Spiel und Wirklichkeit, Rolle und Persönlichkeit eigentlich noch trennen, wenn man sich dem Schauspiel so sehr verschrieben hat?
Meine Meinung
Zu Beginn dieser Geschichte dachte ich wirklich, eine Art Fan-Fiction zu Donna Tartts Die Geheime Geschichte in den Händen zu halten. Die Ähnlichkeiten waren einfach unübersehbar. Die Altgriechisch-Studenten wurden durch Schauspiel-Studenten ersetzt, der Altgriechisch-Professor durch ein einen Schauspielprofessor und eine Schauspielprofessorin, ihre Charaktere dadurch jedoch nicht weniger eigen und exzentrisch. Auch hier kommt es zu Spannungen in der Gemeinschaft, bis irgendwann einer tot ist und der Rest der Gruppe sich fragen muss, wie das geschehen konnte und wie nun damit umgegangen werden soll. Schon der so ähnliche Titel der beiden Romane kam mir wie Hohn vor. Warum konnte nicht zumindest der englische Titel “If we were villains” beibehalten werden oder wörtlich übersetzt werden? Er würde soviel besser passen und das Buch viel mehr als das eigenständige spannende Werk, als das es sich auch für mich immer mehr herausstellte, würdigen. Stattdessen, gab man der deutschen Übersetzung einen Titel, der den Begriff Abklatsch schon fast impliziert…
Ich bin jedoch unendlich froh, dass ich mich davon nicht habe blenden lassen, diesem Roman dennoch eine Chance gegeben habe und somit diese spannende und mitreißende Geschichte genießen konnte.
“Wir schliefen tief und fest, ohne zu ahnen, dass sich bald der Vorhang für ein Drama heben würde, dessen Autoren wir selbst waren” (S. 21)
Oliver Marks bekommt immer nur die Nebenrollen, in den Stücken, die die kleine Gruppe der Schauspielstudenten regelmäßig am Dellecher College aufführt. Das mag daran liegen, dass er von den meisten als einfach “nett” beschrieben wird, eine Eigenschaft, die unter seinen Schauspielkollegen vielleicht nicht die herausstechendste, aber dennoch sehr besonders ist. Da gibt es den großen und charismatischen Richard, der meist die Rolle des Herrschers oder Tyrannen abbekommt, seine Freundin Meredith, reich und wunderschön und fast immer die Besetzung der weiblichen Verführerin und Richards Cousine Wren, die als das naive Mädchen von nebenan beschrieben wird. Des weiteren gehören Olivers bester Freund James, der als der der attraktivste gilt und oft die Heldenrollen abbekommt, sowie Alexander, der besonders oft mal zu bewusstseinsverändernden Substanzen greift und meist den Schurken spielen muss und die schlacksige Filippa, die in der von Männern dominierten Welt Shakespeares meistens männliche Rollen übernehmen muss, dazu. Meist ist von vornherein klar, wer welche Rolle in einem neuen Stück abbekommt. Diese sind im Stück wie im wahren leben klar verteilt. Das Schauspiel, die Welt von Shakespeare und das wirkliche Leben dieser kleinen Gemeinschaft lassen sich sowieso nicht mehr klar trennen. Oft unterhalten sie sich nur in Shakespeare-Zitaten. Dem Leser fällt es durch diese sehr eindeutigen Rollen leicht, die Charaktere auseinanderzuhalten, was dennoch nicht dazu führt, wie ich zunächst befürchtete, dass sie dadurch irgendwie stereotypisiert wirken – im Gegenteil, sie bleiben sehr authentisch. Das wird besonders dann deutlich, als eine unerwartete Besetzung die Grundfeste dieser Gemeinschaft ins Wanken zu bringen scheint und sich die ganze Dynamik ändert.
M. L. Rios Schreibstil ist, von der exzentrischen Art der Charaktere, immer wieder in Shakespeare-Zitaten miteinander zu sprechen, abgesehen, sehr flüssig und trägt gut zum Spannungsaufbau bei.
Die Beziehungen der Charaktere zueinander, sind wunderbar offen gehalten, was dazu führt, dass man den Charakteren bis zum Ende nicht ganz trauen möchte und ihnen vieles – vielleicht sogar alles – zutraut und einfach gerne so viel mehr über sie erfahren möchte.
Im Gegensatz zu Donna Tartts Die geheime Geschichte, ist dieser Roman, sehr viel kürzer und schneller erzählt, was ihn spannend zu lesen macht, aber leider dazu führte, dass er für meinen Geschmack ein bisschen an Charaktertiefe und Vorgeschichte einbüßen muss. Manche Entwicklungen in der Handlung erschienen mir dadurch etwas unglaubwürdig. Dennoch hat mich die Geschichte um diese Gruppe sehr mitgerissen und ich wollte sie am Ende gar nicht gehen lassen.
Dieses Gefühl, dass einem die Charaktere, trotz ihrer Eigenarten und ihrer Vergehen irgendwie ans Herz gewachsen sind und man gerne noch so viel mehr Zeit mit ihnen Verbringen möchte, hatte ich schon lange nicht mehr….vielleicht seit Die geheime Geschichte nicht mehr…
“… da ich nicht wusste, ob er nur Theater spielte, oder ob er nur Theater spielte, oder ob wir beide Geheimnisse zwischen unseren Zähnen zermalmten.” (S. 353)
Besonders gefallen hat mir, obwohl ich mich definitiv nichts als Shakespeare-Fan bezeichnen kann und außer mit Romeo & Julia, Othello und der Komödie Much Ado About Nothing, mit keinem seiner Werke wirklich vertraut bin, wie schön – wenn auch schrullig – immer wieder Zitate von Shakespeare in die Dialoge eingebaut wurden, wodurch einem als Leser richtig deutlich wurde, wie sehr das Schauspiel einfach in das Leben dieser Charaktere eingewoben ist. Während manch einer von uns beispielsweise im betrunkenen Zustand oder von Schuldgefühlen geplagt vielleicht ein unverständliches Geständnis von sich geben würde, haben wir es hier mit scheinbar zusammenhanglosen und merkwürdig veränderten Shakespeare Monologen zu tun, die versteckt ihre ganz eigene Wahrheit verkünden. Sowie das Spiel im Leben der Charaktere mitschwingt, schwingt auch das Leben in ihrem Schauspiel mit. Dies verleiht der Geschichte nochmal eine ganz eigene subtile und haarsträubende Spannung.
M. L. Rio, die selbst schon als Schauspielerin gearbeitet hat, schafft es ihre Begeisterung für diese Kunst in diesem Debüt-Roman auf interessante Weise herüberzubringen. Geschickt arbeitet sie Schauspielübungen, die ihre Charaktere hier meistern müssen, in die Geschichte ein, wodurch dem Leser nochmal mehr Informationen über die Figuren und ihre Beziehungen zueinander offenbart werden.
Fazit
Ein unglaublich spannender und mitreißender Debütroman, der zwar meiner Meinung nach nicht ganz an Die geheime Geschichte von Donna Tartt, mit dem er oft verglichen wird, herankommt, aber dadurch nicht weniger lesenswert ist. Tolle Charaktere, ein spannendes Setting und die Begeisterung für das Schauspiel und Shakespeare, die geradezu ansteckend ist, machen diesen Roman zu etwas Besonderem – eine Tragödie, die in vielerlei Hinsicht an Shakespeares Dramen erinnert.
Auch wer, wie ich, nicht allzu sehr vertraut mit Shakespeares Werken ist, kann viel mit diesem Buch anfangen, wer sich gut damit auskennt erkennt vielleicht sogar noch mehr versteckte Hinweise und Referenzen und tiefere Bedeutungen. Definitiv ist es ein Buch, welches ich zum Schluss nicht weglegen wollte und dessen Charaktere mich noch einige Zeit beschäftigt haben.
Vielen Dank an das Bloggerportal und die Randomhouse Verlagsgruppe für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars!
Originaltitel: If we were villains
Autorin: M.L. Rio
Übersetzung: Karin Dufner
Verlag: Penguin Verlag (erschienen am 11.09.2017)
Seiten: 459
ISBN: 978-3-328-10053-9
Preis (Taschenbuch): 13,00 €
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Rezensionsexemplar**
* Diese Verlinkung kennzeichne ich als Werbung
** Dieses Buch habe ich vom Verlag im Tausch gegen eine ehrliche Rezension als Rezensionsexemplar erhalten. Meine Meinung bleibt davon unbeeinflusst.
(c) Buchcover: Penguin Verlag, Reclam Verlag
Beitragsbild: Ricarda Schneider
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