[Rezension] “Frankissstein – eine Liebesgeschichte” von Jeanette Winterson
Da Frankenstein von Mary Shelley einer meiner liebsten Klassiker und Künstliche Intelligenz sowieso ein aktuelles und spannendes Thema ist, hatte ich eine hohe Erwartung in diesen Roman…leider wurden diese nicht wirklich erfüllt.
Worum geht’s?
Es gibt zwei Erzählstränge. Der erste beginnt im Jahr 1816, als Mary Shelley, während eines verregneten Sommers am Genfer See die Idee für ihren Roman Frankenstein kommt.
Der zweite Handlungsstrang spielt in unserer heutigen Zeit.
Hier verliebt sich der transgender Arzt Ry – früher Mary – Shelley in Victor Stein, der auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz forscht.
Beide Erzählstränge wechseln sich immer wieder miteinander ab und werfen ähnliche Fragen auf: Was macht den Menschen aus, gibt es eine Seele? Was passiert mit dieser nach dem Tod, können wir diesen überwinden und wie sieht es mit künstlich erschaffenem Leben aus? Und auch Genderfragen spielen in beiden Storys eine wichtige Rolle.
Meine Meinung
Uff. Also, wo fange ich an? Dieser Roman bietet definitiv einige thematische Ansatzpunkte, die eine hohe aktuelle Relevanz haben: KI, Gender, Roboter, Transhumanismus, feministische Kritik. Darüber hinaus finde ich die literarische Veknüpfung dieser Themen mit der Geschichte der jungen Mary Shelley, die nicht nur Anfang des 19. Jahrhunderts bereits über einen künstlich erschaffenen Menschen schreibt, sondern als Autorin zudem aus dem damals vorgesehen Rollenbild der Frau ausbricht, äußerst vielversprechend….nur leider konnte mich die Umsetzung nicht überzeugen.
Während ich den Plot um Mary Shelley im Jahr 1816 geradezu verschlungen habe, gebannt war von der sich langsam verselbstständigenden Idee eines von einem Menschen erschaffenen Monsters, ihrer leidenschaftlichen Liebe zu ihrem Mann Percy Shelley und der Selbstbehauptung als Frau in einer männerdominierten Gesellschaft, konnte ich dem Erzählstrang, der in unserer heutigen Zeit spielt, kaum etwas abgewinnen.
Ry Shelley und Victor Stein und ihre komplizierte Liebesbeziehung zueinander – Ry ist ein Transmann, Victor eigentlich heterosexuell und fasziniert davon, dass Ry seinen eigenen Körper einfach nach seinen Vorstellungen verändert hat – fand ich ja zunächst noch ganz interessant, wobei ihre Charakterzeichnung nach diesen Punkten auch schon fast wieder aufhört. Victor forscht daran, künstliches Leben, Künstliche Intelligenz zu schaffen, aber möchte vor allem einen Weg finden, das menschliche Gehirn bzw. den Verstand, den Geist eines Menschen zu konservieren, als Software upzuloaden und somit unsterblich zu machen. Ry ist Arzt und versorgt ihn mit amputierten menschlichen Körperteilen für seine Forschung. Mehr als das, ihre sexuelle Orientierung und ihre merkwürdig ambivalente Beziehung zueinander erfahren wir also auch über die Hauptpersonen dieser Story nicht. Ich finde nichtmal, dass mit dem Gender-Thema besonders sensibel umgegangen wird…eher im Gegenteil!
Die hier angestellten Überlegungen zu KIs und Gehirn-Uploads waren interessant, aber für mich auch nicht neu. Was mich aber richtig genervt hat, waren die schon genannte flache Charakterzeichnung und vor allem die extrem klischeehaften Nebenfiguren in diesem Erzählstrang: ein sexistischer Entwickler von Sex-Bots, der seiner Beschreibung nach zu urteilen, selbst sein bester Kunde zu sein scheint, eine aufdringliche Journalistin und eine gläubige Christin, die bei ihrer persönlichen Forschung zur menschlichen Seele irgendwann mit in das Sexbot-Business einsteigt?!
Hinzukommt, dass auch die Dialoge anstrengend zu lesen sind und mal platt und mal sehr gewollt lustig oder tiefgründig klingen…
Warum der Untertitel “Eine Liebesgeschichte” heißt, hat sich mir auch nicht wirklich erschlossen. Die Liebesgeschichte zwischen Mary und ihrem Mann spielt eher eine untergeordnete Rolle und die zwischen Ry und Victor beruhte meiner Meinung nach zumindest von Victors Seite aus eher auf seiner Faszination für Rys künstliche Veränderung…
Frankissstein ist eines dieser Bücher, die ich am Ende etwas ratlos zugeschlagen habe. Was habe ich da gerade gelesen? Und was will mir die Autorin damit sagen?
Feministische Kritik? Ja, Sexbots sind frauenverachtend, das habe ich schon verstanden, ohne dieses Buch gelesen zu haben…
Wenn wir alle mal nur noch Uploads unserer Gehirne sind, ist unser körperliches Geschlecht egal? Die binäre Geschlechterdefinition also überholt? Und vielleicht schaffen KIs das Patriarchat endlich ab, weil es unlogisch ist? Hoffen wir’s! Alles interessante Gedanken, aber zusammengewürfelt in diese chaotische Geschichte gequetscht, meiner Meinung nach irgendwie zu viel, als wolle die Autorin ihre Leserschaft mit sehr vielen verschiedenen Ansätzen gleichzeitig zum Nachdenken anregen und hätte dann noch schnell eine Geschichte drumherumgeschrieben…
Der Roman bietet definitiv einige interessante Überlegungen bzw. Ansätze zu brandaktuellen Themen, die zusammen mit der grundsätzlich spannenden Verwertung eines wunderbaren Klassikers, wahrscheinlich auch der grund für die Booker Prize Nominierung sind, meins war es aber einfach nicht. Schade!
Angaben zum Buch
Titel: Frankissstein – eine Liebesgeschichte
Autorin: Jeanette Winterson
Übersetzung: Michaela Grabinger und Brigittte Walitzek
Verlag: Kein & Aber
erschienen am: 08. Oktober 2019
Seiten: 400
ISBN: 978-3036958101
Preis (gebunden): 24,00€