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[Rezension] Der Wachmann von Peter Terrin

Dieses Buch wurde mir auf meiner Bücherladen-Tour durch Köln in der Buchhandlung Klaus Bittner empfohlen. Es sollte sich um eine versteckte Dystopie handeln, die unter den Krimis zu finden sei. Ein echter Geheimtipp!

Worum geht’s?

Michel und Harry sind Wachmänner, die die Tiefgarage eines riesigen Luxuswohnhauses bewachen. Jeder Tag ist streng durchstrukturiert, sie erfüllen ihre Aufgaben gewissenhaft und äußerst sorgfältig ohne je nach irgendetwas zu fragen, in der Hoffnung, irgendwann befördert zu werden. Ihr Arbeitgeber ist die Organisation, ein rätselhaftes Unternehmen, welches offenbar Personal für schwerreiche Kunden stellt, von dem Michel und Harry aber auch keine genauen Vorstellungen haben, nur die Hoffnung, durch tadellose Arbeit zur Elite befördert zu werden.
Eines Tages verlassen alle bis auf ein Bewohner das Haus. Da Michel und Harry die Tiefgarage niemals verlassen, wissen sie nicht was draußen geschehen ist. Ein Krieg? Eine Umweltkatastrophe? Wieder fragen sie nicht nach, sondern verrichten weiterhin ihre Arbeit, als sei nichts geschehen. Denn es könnte sich ja auch einfach um eine Prüfung durch das Unternehmen handeln, in der sie sich beweisen müssen, um endlich zur Elite befördert zu werden. Dann taucht auch noch ein dritter Wachmann auf und die Paranoia gewinnt die Überhand…

Meine Meinung

Dieser Roman hat mich in erster Linie verwirrt. Nachdem anfänglich alles in geordneten Bahnen verläuft  und man sich wundert, dass Harry und Michel an diesem Arbeitsplatz, nicht verrückt werden sondern durch die Macht der Gewohnheit ein scheinbar zufriedenes Leben führen, nimmt der Wahnsinn etwa ab der Hälfte des Romans immer mehr zu und man muss als Leser überlegen, was gerade wirklich geschieht und was nur in der Vorstellungen des Protagonisten passiert. Dieser Protagonist ist Michel, ein Wachmann der Organisation, der irgendwann in die Tiefgarage gebracht wurde, um dort mit Harry, einem anderen Wachmann, der schon länger dort arbeitet, ein Luxuswohnhaus zu bewachen. Das Haus haben sie, eben so wenig wie die direkte Umgebung je gesehen. Die Bewohner kennen sie nur davon, dass diese hin und wieder an ihnen vorbei zu ihren Autos gehen und von wenigen Erzählungen, die die anderen Hausangestellten manchmal mit ihnen teilen. Als die Bewohner und alle anderen Angestellten an nur etwas mehr als einem Tag das Haus verlassen, ist dem Leser ebenso wie Michel und Harry nicht klar, was draußen geschehen ist, das diesen Exodus ausgelöst haben könnte. Das sowieso schon bedrückende Setting dieser Tiefgarage wird dadurch noch in seiner klaustrophobischen Wirkung verstärkt. Es vergehen Tage und Wochen in denen nichts geschieht und Harry und Michel weiterhin zuverlässig ihrem Dienst nachgehen. Natürlich nicht, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was das alles nun für sie bedeutet. Darüber philosophieren sie ziemlich ausgiebig…Zeit haben sie ja. Das Ergebnis dieser Debatten ist meistens, dass es sich um eine Prüfung durch die Organisation handeln muss, die damit herausfinden möchte, ob die beiden zu Elite-Wachmännern taugen, sodass sie irgendwann auf einem schönen großen Anwesen eingesetzt werden könnten. Diese Idee setzt sich in ihren Köpfen fest, wird zur Paranoia.
Wenn schon eine Fliege, die sich in die fast sterile Welt dieses Kellers verirrt, schon zu einem außergewöhnlichen Ereignis wird, sie wie ein Eindringling auf den Protagonisten wirkt, ist die Anspannung unter der die beiden stehen, fast spürbar.
Als ein dritter Wachmann auftaucht, mit dem die beiden aufgrund ihrer guten Arbeit nicht mehr gerechnet haben, eskaliert die Situation. Soll er sie ausspionieren? Oder hat er es gar auf den letzten Bewohner abgesehen, den sie unbedingt beschützen müssen? Oder soll er sie tatsächlich nur in der Arbeit unterstützen, die sie ja auch alleine ganz gut geschafft haben?
Interessant sind zudem die beiden Charaktere Harry und Michel oder vielmehr ihre Beziehung zueinander. Über ihre Geschichte und ihre Herkunft erfährt man nichts, aber sie sind im Laufe ihres Dienstes offenbar zu einer funktionalen Einheit zusammengewachsen. Jeder hat seine festen Aufgaben und auch seine feste Rolle in ihrem zweisamen Miteinander. Harry ist der Starke, der immer den Ton angibt, Michel Befehle erteilt aber auch – wie er zumindest denkt – seine Lebensweisheiten und seine Verschwörungstheorien mitteilt. Michel hingegen hört ihm nur aufmerksam zu, tut wie ihm geheißen und gibt kaum Widerworte. Ein eigener Wille, Ziele und Träume scheinen Michel scheinen ihm eher fremd zu sein. Ihre Beziehung scheint zunächst durch nichts ins Wanken gebracht werden zu können.
Der Roman ist in sehr kurze Kapitel unterteilt, was den Lesefluss beschleunigt. Allerdings sind diese offenbar nicht immer in einer chronologischen Reihenfolge angeordnet und bilden zudem nicht immer nur das wirkliche Geschehen ab, sondern auch hin und wieder Michels Vorstellungen, die Möglichkeiten enthalten, was eigentlich außerhalb dieses Kellers passieren oder passiert sein könnte, was wiederum ein bisschen zu der Verwirrung, die ich anfänglich beschrieben habe, beiträgt.

Fazit

Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, was ich mit diesem Buch anfangen soll. Es ist, ich kann es nur immer wieder sagen: verwirrend.
Unabhängig von der Handlung hat dieses Buch jedoch eine unglaublich klaustrophobische Wirkung und die Aussage steckt, denke ich, in der Paranoia, die Harry und Michel so sehr  ergreift. Was passiert wenn wir Anweisungen blind folgen, einem Unternehmen ergeben sind, über dessen Strukturen wir nicht im geringsten im Bilde sind, in der Hoffnung auf berufliche Perfektion und Weiterentwicklung? Das sind Fragen, auf die dieser Roman eine düstere Antwort gibt. Und alleine deshalb sollte man es lesen.

 

 


Titel: Der Wachmann
Autor: Peter Terrin
Übersetzung: Rainer Kersten
Verlag: Liebeskind ( erschienen am 1902.2018)
Seiten: 256
ISBN: 978-3954380855
Preis (Gebundene Ausgabe): 20,00€
 

 

 

(c)Buchcover: Liebeskind Verlag
Beitragsbilder: Ricarda Schneider

 

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