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[Rezension] “Dschungel” von Friedemann Karig

Ja, ich gebe es zu. Bei diesem Roman hat mich mal wieder das Cover überzeugt. Düster, exotisch, geheimnisvoll… Und der Klappentext passte zu dieser Einschätzung. Konnte mich der Inhalt genauso überzeugen?

Worum geht’s?

Felix ist verschwunden. Irgendwo in Kambodscha. Obwohl sein bester Freund immer schon eine besondere Vorliebe für Extremsituationen und impulsive Aktionen hatte, ist der Erzähler der Überzeugung, dass dieses Mal irgendetwas nicht stimmt. Sich so lange nicht zu melden, passt nicht einmal zu Felix. Da auch die Behörden nicht weiterhelfen können, reist der Erzähler ihm nach, folgt seinen Spuren über Traumstrände, einsame Inseln und tief in den Dschungel. Dabei setzt er nicht nur seinen neuen Job, sondern sogar seine große Liebe aufs Spiel, doch er ist der Überzeugung, wenn einer Felix finden könne, dann nur er. Immerhin verbindet sie eine lange Freundschaft. Die Suche nach seinem besten Freund wird zeitgleich zu einer Reise in ihre gemeinsame Vergangenheit, Erinnerungen werden durchforstet auf der verzweifelten Suche nach Hinweisen, Geheimnisse treten ans Licht und weit Verdrängtes, wird plötzlich glasklar. Kann er Felix finden, ohne sich selbst zu verlieren? Oder muss er sogar mit ihm verschwinden?

Meine Meinung

Dieser Roman hat mich zunächst durch sein Cover in den Bann gezogen. Der Klappentext à la Jugendliche auf einem Selbstfindungstrip durch Südostasien, klang für mich zunächst etwas abgedroschen. Nichts Ungewöhnliches, wenn man sich in den Jahren nach dem Abi mal unter seinen ehemaligen Klassenkameraden umhörte. Die Geheimnisse, die laut Klappentext eine große Rolle spielen und das mysteriöse Verschwinden eines jungen Mannes, weckten da schon eher mein Interesse.
Ich ging jedenfalls mit gemischten Erwartungen an das Buch und wurde überrascht. Dass es mich so mitreißen würde, dass ich es innerhalb eines Wochenendes durchgelesen hatte, habe ich jedenfalls nicht erwartet.

“Bevor man verschwindet, muss man erst einmal da sein. Sich selbst gefunden haben.”

Friedemann Karig, Dschungel

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen. Die Gegenwart, die Suche nach Felix, wird immer wieder von Kapiteln unterbrochen, die Erinnerungen des Erzählers an gemeinsame Erlebnisse mit seinem besten Freund zeigen. Während ich von der Geschichte der Gegenwart sehr schnell vereinnahmt wurde, zogen sich die Rückblenden für mich zunächst sehr. Wie das aber so ist bei Zeit- und Ortswechseln in Romanen, führte das eher dazu, dass ich noch schneller weiterlas, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es mit der Suche weitergeht. Während dieser Suche trifft der Erzähler auf interessante Menschen und Orte, fast verliert er sich in dieser Parallelwelt der Back-Packer, während der Autor diese auf subtile Weise nutzt um unsere heutige Art des Reisens, den Massen-Individualtourismus, wie man ihn nennen könnte, zu kritisieren.

“Deshalb arbeiten wir an der Gier, an der Bulimie des Reisens, die die meisten von uns befallen hat und die uns Orte, Menschen, Eindrücke, Sonnenuntergänge fressen lässt ohne sie zu verdauen.”

Friedemann Karig, Dschungel

Nach und nach wurde dann aber deutlich, dass es sich bei den Erinnerungen um wichtige Schlüsselerlebnisse in der Freundschaft der beiden Jungen handelt. Es wird schnell klar, dass wir es hier mit keiner einfachen Freundschaft zu tun haben – nein im Gegenteil – oft wollte ich den Erzähler am liebsten schütteln und fragen: Was willst du eigentlich von dem? Mach dir lieber ein schönes Leben und such dir Freunde, die dich auch zu schätzen wissen. So einfach ist das natürlich nicht mit komplizierten Beziehungen. Vor allem nicht, wenn diese offenbar auch noch durch Geheimnisse geprägt sind, hinter die man als Leser nicht direkt schaut. Wie ein Raubtier schleicht die Erzählung um dieses ominöse Geheimnis, das im Klappentext angedeutet wird, herum. Nicht nur einmal war ich auf der falschen Fährte, bis das schockierende Ende dann unerwartet und plötzlich kam und die ganze Geschichte nochmal in ein anderes Licht rückt.

Die Erinnerungen des Erzählers an seine Erlebnisse mit Felix führten auf jeden Fall dazu, dass ich Felix wirklich nicht leiden konnte. Ein in meinen Augen absolut unsympathischer Charakter, wenn auch interessant, der seinen Freund von oben herab behandelt und bevormundet. Dadurch, dass man seine Handlungen fast ausschließlich durch die Erinnerungen des Erzählers sieht, wirkt er zudem irgendwie weit weg und nicht greifbar. Immerhin weiß jeder, dass Erinnerungen subjektiv sind und sich im Laufe der Zeit verändern können.
Auch den Erzähler selbst fand ich nicht sonderlich sympathisch, aber ebenfalls sehr interessant, wenn nicht sogar noch interessanter als den bestimmenden, mysteriösen Felix. Er wirkt wie ferngesteuert, immer noch irgendwie dirigiert, durch den Schatten seines besten Freundes. Er will nicht nach Kambodsch und fliegt trotzdem. Er will seinen besten Freund nicht suchen und tut es trotzdem. Er will diese Reise nicht als Reise genießen und lässt sich trotzdem recht schnell auf seine Umgebung und die Leute, denen er begegnet ein. Alle Geschehnisse scheinen ihm eher zu widerfahren, als dass er selbst aktiv daran beteiligt wäre. Er scheint die Rolle, die er als Felix’ Freund hatte weiterzuspielen, obwohl Felix verschwunden ist.
Dieser Roman ist für mich wieder einmal ein großartiges Beispiel dafür, dass Romanfiguren nicht sympathisch sein müssen, um einen mitzureißen. Dass die besseren Figuren, oft sogar eher die unsympathischen sind, die man – zumindest zunächst – nicht versteht.

“Vielleicht sind wir einfach am Leben, um am Leben zu bleiben.”

Friedemann Karig, Dschungel

Die abwechselnden Zeitebenden, die komplizierten Charaktere und ihre noch kompliziertere Freundschaft, das wilde Kambodscha, das unbekannte Geheimnis, das über allem schwebt und nicht zuletzt Friedemann Karigs leichter, aber unglaublich eindrücklicher Schreibstil haben einen solchen Sog auf mich ausgeübt, dass ich das Buch kaum zur Seite legen konnte.
Dieses Buch ist eine Abenteuerreisegeschichte, die sich auch nicht selten kritisch mit dem Tourismus unserer heutigen Zeit auseinandersetzt und Coming-of-Age-Roman in einem. Das Setting – ein tief verletztes Land, das seine Geschichte bis heute nicht richtig aufgearbeitet hat – könnte nicht passender gewählt sein.

Ein wirklich starkes Debüt!

Mein Tipp: Wer “Dunkelgrün fast Schwarz” von Mareike Fallwickl mochte, sollte dieses Buch unbedingt lesen!

Vielen Dank an den Verlag und Netgalley für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!

Angaben zum Buch // Werbung


Titel: Dschungel
Autor: Friedemann Karig
erschienen am: 2. Mai 2019
Verlag: Ullstein
Seiten: 384
ISBN: 978-3550200137
Preis (Hardcover): 22,00€

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