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[Rezension] “Die Harpyie” von Megan Hunter

Als ich beim Durchblättern der Verlagsvorschauen für dieses Frühjahr auf dieses Cover gestoßen bin, hat es mich sofort in seinen Bann gezogen. So düster, unheilvoll und trotzdem irgendwie schön.
Dann noch der Titel. Die Harpyie. Ein Greifvogel, soviel wusste ich, mehr jedoch nicht. Klang aber sofort bedrohlich. Passte also zum Cover. Ich googelte und wurde fündig, eine Harpyje ist nicht nur eine ziemlich große, ziemlich gefährlich aussehende Greifvogelart, sondern auch eine Gestalt aus der griechischen Mythologie. Ach, in dem Kontext hatte ich schonmal davon gehört!
Eine Mischung aus Frau und Greifvogel bzw. ein Greifvogel mit Frauenkopf. Auch in der Mythologie sind das ziemlich unangenehme Gestalten, die im Auftrag von Zeus Menschen töten, die ihn erzürnt haben, die Seelen der Toten in die Unterwelt holen und auch bei Homer foltern und töten sie und spielen seitdem in verschiedenen Sagen und Geschichten eine Rolle.
Also Titel und Cover hatten mein Interesse schonmal geweckt. Und der Inhalt? Der Klappentext erzählt schon relativ viel und wirkte auf mich ebenso merkwürdig wie interessant.

Zum Inhalt

Der Inhalt lässt sich, ohne zu viel zu verraten, relativ schnell zusammenfassen.
Lucy findet heraus, dass Ihr Ehemann Jake sie mit einer Arbeitskollegin betrügt. Sie reden zwar nicht wirklich darüber, bleiben aber trotzdem zusammen. Als klar wird, dass Lucy es aber nicht einfach vergessen und ihm vergeben kann, bietet Jake ihr an, dass sie sich im dreimal an ihm rächen darf. Wie und wann entscheidet sie und er weiß es vorher nicht. Und das tut sie und entdeckt immer mehr eine dunkle Seite sich, verändert sich.

Meine Meinung

Schon ziemlich verrückt, so eine Vereinbarung, oder? Also erst einmal finde ich, dass eine gemeinsam vereinbarte bzw. von ihm angebotene Erlaubnis zur Rache keine wirkliche Wiedergutmachung für einen Betrug ist, denn der war ja nicht gemeinsam vereinbart. Es lässt sich also nicht wirklich vergleichen. Und des Weiteren ziemlich naiv von Jake, da so gar keine Einschränkungen zu machen…
Eigentlich fand ich diese Plot-Idee somit ziemlich konstruiert und weit hergeholt, aber auch so spannend, denn natürlich wühlt so etwas tiefer in der Psyche der Beteiligten, als wenn sie sich einfach getrennt hätten oder wegen der Kinder zusammengeblieben und eine freudlose Ehe weitergeführt hätten, in der sie sich eigentlich verachten.
Und außerdem sagt genau diese “Vereinbarung” schon sehr viel über die Beziehung aus. Jake betrügt Lucy und Jake bietet IHR daraufhin eine Wiedergutmachung in Form von Rache an. Bis zu der tatsächlichen Ausübung ihrer Rache bleibt Lucy also in dieser Entscheidung ziemlich passiv und genau das spiegelt ihre Ehe wieder. Lucy wurde schwanger und nahm sich daraufhin beruflich zurück, gab eine akademische Karriere auf, wollte eigentlich Schriftstellerin werden, arbeitet nun von zuhause, schreibt Gebrauchsanweisungen, um sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern, während ihr Mann immer mehr Überstunden macht und auch noch fremdgeht. Sie nistet sich in diesem gemütlichen bürgerlichen Familienleben ein, schlüpft in die Rolle der Ehefrau und Mutter, was ihr jedoch nicht auf natürliche Weise leichtzufallen scheint. Sie leidet immer noch unter den Folgen des Kaiserschnitts bei der Geburt des zweiten Kindes, dem sie sich wie einem Angriff auf ihre Körperlicher Unversehrtheit ausgeliefert fühlte.
Und nun, da sie sich rächen soll, wird sie aktiv, es erwacht etwas in ihr.

Es ist somit nicht nur ein Buch über Betrug und Rache, sondern auch über Mutterschaft und Ehe, über gesellschaftliche Rollen, die man täglich spielt und Erwartungen die man denkt, erfüllen zu müssen.
Was dieses Buch für mich jedoch besonders ausmacht ist die Sprache und der Aufbau der Erzählung.
Der Roman beginnt mit der letzten Bestrafung, bevor es zum Beginn der Geschichte zurückspringt. Lucy schneidet Jake mit einem Rasiermesser ins Bein und er beginnt zu bluten.
Und dann beginnt in Kursiv ein Gedankengang, in dem Lucy scheinbar über sich selbst nachdenkt:

“Ich frage mich, ob man mir glauben würde, wenn ich sage, dass ich nie ein gewalttätiger Mensch gewesen bin.”

Die Harpyie, Megan Hunter, S. 15, C.H. Beck Verlag

Und spätestens an dieser Stelle wollte ich wissen wie es weitergeht.

Dieser Wechsel zwischen Lucys Gedankenströmen und der eigentlichen Story zieht sich durch das ganze Buch. Die einzelnen Anschnitte und Kapitel sind sehr kurz, was bei mir immer – und so auch hier – zu einem hohen Lesetempo beiträgt. Die Autorin hält sich nicht an Kleinigkeiten auf, sondern verfolgt einen sehr klaren und dennoch bildgewaltigen Stil. Durch den Wechsel von Lucys Gedankenströmen und der eigentlichen Geschichte schafft sie es, eine düstere, unheilvolle Stimmung aufzubauen, die immer wieder durch fast schon unwirklich erscheinende Familienszenen unterbrochen wird. In den Kursiv gedruckten Abschnitten erfahren wir auch, dass Lucy schon als Kind von der Figur der Harpyie, als ein Wesen, das Männer bestraft für das, was sie tun – so erklärte es ihr ihre Mutter – fasziniert war. In diesen Abschnitten schwelgt Lucy mal in ihren Erinnerungen und Gedanken und mal betrachtet sie sich von außen – oder wird von außen betrachtet, sodass es den Anschein erweckt, als wären da zwei Lucys. Immer wieder und immer mehr denkt sie über die Harpyie nach, erinnert sich an ihre Besessenheit von diesem Wesen während ihrer Jugend und ihres Studiums.
Das Ende kommt dann ziemlich abrupt und lässt Raum für Interpretationen, was ich bei dieser Geschichte eigentlich ziemlich gut finde!

Fazit

Ein wirklich außergewöhnliches Buch, dessen Sog sich alleine durch die Story kaum beschreiben lässt. Die Autorin schafft durch die Sprache und den Aufbau aber ein wirklich unheimliches und spannendes psychologisches Porträt einer Frau, die getriggert durch den Betrug ihres Ehemanns aus ihrer Rolle ausbricht und sich verwandelt. Durch das rasante Erzähltempo und die geschickte Erzählung fliegt man nur so durch die Seiten. Am Ende bleibt Raum für Interpretation, der dafür sorgt, dass der Roman trotz seiner Kürze noch etwas nachwirkt.
Absolut lesenswert!

Vielen Dank an den C.H. Beck Verlag für die Bereitstellung meines Rezensionsexemplars!

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Titel: Die Harpyie
Autorin: Megan Hunter
Übersetzung: Ebba D. Drolshagen
erschienen am: 22. Februar 2021
Verlag: C. H. Beck
Seiten: 229
ISBN: 978-3-406-76663-3
Preis (Hardcover): 22,00€

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