[Rezension] “Um mich herum stehen bekannte Gesichter” – Marc Kemper
“Wissen Sie…ich habe einmal gelesen, dass die Arktis der Ort des Vergessens sei. Ein Ort, an den sich Menschen zurückziehen, wenn sie einen Teil von sich ablegen wollen.”
Um mich herum stehen bekannte Gesichter, Marc Kemper, S. 13 (E-Book)
Manchmal sind es gerade die unbekannteren und kurzen Geschichten, die einen besonders bewegen und überraschen. Marc Kempers Novelle Um mich herum stehen bekannte Gesichter ist so ein Buch.
Es entführt seine Leser*innen in auf eine Reise in die Arktis, die für die Protagonistin eigentlich ein Ort des Vergessens sein sollte. Denn seit einem tragischen Unfall, bei dem ein Kind starb, wird Camilla von Schuldgefühlen zerfressen, die ihr Leben unerträglich machen. Das Angebot, an einem Forschungsprojekt in der Arktis teilzunehmen, sieht sie als letzte Möglichkeit und Chance ihrem Leben doch nochmal eine Wende zu geben.
Doch es kommt anders als gedacht und statt des geplanten Forschungsaufenthalts erwartet sie ein gefährlicher Survivaltrip, der sie dazu zwingt, nicht nur um ihr Überleben zu kämpfen, sondern sich auch Stück für Stück mit sich selbst und ihren Erfahrungen auseinanderzusetzen.
Diese kurze Geschichte lässt sich flüssig lesen, schnell konnte ich mich von dem einfachen aber eindrücklichen Schreibstil mitreißen lassen und in die unheimliche, bedrohliche Atmosphäre, die der Autor hier heraufbeschwört, eintauchen. Das Cover vermittelt davon schonmal einen guten Eindruck!
Schnell wird klar, dass Camilla nicht einfach planmäßig in der Forschungsstation eintreffen und arbeiten wird. Denn das Flugzeug, das sie an diesen abgelegenen Ort bringen soll, stürzt irgendwo über der russischen Tundra ab. Wie durch ein Wunder überlebt sie und ihre eigentliche Reise beginnt. Mit ein paar anderen Überlebenden macht sie sich auf die Suche nach Zivilisation. Jede dieser anderen Personen bring sie durch ihre jeweils ganz eigene Geschichte dazu, sich irgendwie mit sich und ihren Erlebnissen, Gefühlen und den einzelnen Teilen ihrer Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Somit erfährt man durch ihre plötzlich auftauchenden Erinnerungen auch immer mehr über Camilla und ihr Leben vor dem verhängnisvollen Unfall. Die gefährliche Umgebung fordert immer mehr Leben und Camilla ist immer mehr auf sich gestellt.
Es ist eine Geschichte über die menschliche Psyche und darüber, wie diese sich nicht nur selbst zerstören sondern auch heilen und retten kann.
Das Ende bietet dann nochmal eine vollkommen unerwartete Wendung, die der ganzen Geschichte einen besonderen und noch tiefgründigeren Schliff verleiht. Genial!
Es handelt sich, wie bereits gesagt um ein sehr kurzes Buch, eine Novelle. Eine breite Ausarbeitung der Hintergründe oder auch die facettenreiche Darstellung der einzelnen Figuren, kann man hier nicht erwarten. Es geht um Camilla, ihre psychische Verfassung aufgrund der Schuldgefühle und vor allem darum, wie der Flugzeugabsturz und der darauffolgende Überlebenskampf sie zu sich selbst führt. Und das ist dem Autor sehr gut gelungen!
“In der Philosophie gab es dieses Gedankenspiel, an das sich Camilla erinnerte: Der Seefahrer Theseus war während seiner Abenteuer ständig gezwungen, sein Schiff zu reparieren. So oft mussten Teile ausgetauscht werden, dass das , mit dem er zurück in seinen Heimathafen einlief, aus völlig anderen Materialien bestand, als das Schiff, mit dem er einst aufbrach. Keine einzige Planke mehr die selbe, mit der er seine Reise begann. Die Frage, die sich stellte war schließlich:
Um mich herum stehen bekannte Gesichter, Marc Kemper, S. 113 (E-Book)
Handelte es sich immer noch um das selbe Schiff? War es das Schiff des Theseus? Oder ein gänzlich neues?”
Vielen Dank an Marc Kemper und den Intronauten Verlag für die kostenlose Bereitstellung des E-Books als Rezensionsexemplar!
Anzeige// Angaben zum Buch
Titel: Um mich herum stehen bekannte Gesichter
Autor: Marc Kemper
Verlag: Intronauten Verlag
erschienen am: 25. Oktober 2019
Seiten: 164
ISBN: 978-3981996128
Preis (Broschiert): 11,99€